Noch früher als erwartet ist mein erster Urban-Fantasy-Roman, „Das Buch der Augen“, im Handel. In diesem Roman habe ich eine sehr alte Idee realisiert: Ich wollte die Geschichte einer Protagonistin erzählen, die begreift, dass das beängstigende, übernatürliche Geschehen um sie herum keine Einbildung ist – aber dass sie sich trotzdem Sorgen um ihre Psyche machen sollte.
„Das Buch der Augen“ erzählt die Geschichte der 21-jährigen Renia, die langsam begreift, dass die anderen Welten und dämonischen Wesen, die sie sich vermeintlich nur eingebildet hat, real sind und dass sich ein Monster an ihre Fersen geheftet hat. Sie lernt auch, dass sie gegen die Dämonen kämpfen kann, aber gleitet nahezu unmerklich mehr und mehr in eine Anorexie-Erkrankung ab, die ihr ebenso zum Verhängnis werden könnte wie ihr übernatürlicher Verfolger. An anderer Stelle habe ich den Roman als eine Geschichte über „Albtraum-Multitasking“ beschrieben.
Eine Frage, die sich vielleicht aufdrängt, ist, ob es mir nicht zu persönlich war, einen Roman mit einer Protagonistin zu schreiben, mit der ich eine (in meinem Fall glücklicherweise überwundene) psychische Erkrankung teile. Doch wie ich auch im Buch selbst schreibe: So originell sind die Gedanken und Symptome, die ich im Griff meiner Essstörung hatte, nicht – ich habe also nicht das Gefühl, allzu viel über mich spezifisch preiszugeben. Dennoch glaube ich, dass meine persönliche Erfahrung mit dem Thema eine Bereicherung für das Buch ist.
Diese Grundidee hat mehrere Iterationen durchlaufen, bis ich schließlich bei der Variante gelandet bin, die ab heute gekauft oder bestellt werden kann. Mein erster Entwurf war teilweise noch stark von früheren Visionen zu Setting und Atmosphäre geprägt – z.B. hatte ich eine Zeitlang die Idee, Renia, aber auch vielen anderen Monsterjäger*innen weitaus mehr Erfahrung und Selbstbewusstsein bei ihrer Arbeit zu geben, und auch wenn ich entschied, die Ungewissheit und Angst der Figuren zu betonen und Renia eben nicht zu einer abgebrühten Monsterjägerin zu machen, gab es ein paar Sätze, in denen noch diese ältere, nie geschriebene Version des Buches anklingt. Das habe ich dann im Verlauf des Überarbeitungsprozesses abgeändert.
Eine weitere Überarbeitung war, dass ich wieder und wieder Komplexität reduziert habe. Während es in den Drúdir-Romanen oft um zahlreiche Fraktionen, alle mit ihrer eigenen Agenda und ihren eigenen Widersprüchen, geht, und eine große Rolle spielt, wer wann welche Information hat, ist „Das Buch der Augen“ sehr gradlinig. Es ist die Geschichte einer Ich-Erzählerin und zweier sehr symmetrischer, ineinander verwobener Konflikte. Ohne dass ich es beabsichtigt hätte, schmiegt sich das Buch eng an die Struktur der klassischen Heldenreise.
Ein Teil von mir ist nicht so richtig zufrieden damit, hätte gerne eine verschlungenere Struktur, mehr unerwartete Wendungen, mehr Demonstrationen meiner Cleverness als Autorin eingebaut, aber ich denke, da war auch etwas an dieser Idee, das nach mehr Einfachheit, mehr Aufrichtigkeit, gerufen hat.
Ich fand auch die Umstellung von High auf Urban Fantasy interessant und herausfordernd, denn auch wenn das Anknüpfen an eine vertraute Welt und ihre Grundannahmen Vorteile hat, bedeutet es auch, dass ich nicht länger das gesamte Worldbuilding kontrolliere und bestimmte Fragen beantworten muss, die sich Lesenden aufdrängen, zum Beispiel, was Dämonenjagende zu verschiedenen Zeitpunkten der Geschichte gemacht haben und warum die Welt im Großen und Ganzen unverändert von ihren durchlässigen Grenzen zu anderen Welten ist.
Der Großteil des Romans entstand während des NaNoWriMo (National Novel Writing Month, ein Event, bei dem man sich vornimmt, im November 50.000 Wörter zu schreiben) 2019, beendet habe ich das Manuskript im Januar 2020 und jetzt, im Oktober 2021, kommt es schließlich heraus. Zwischendurch ist es durch die Hände mehrerer Test- und Sensitivity-Leser*innen gegangen, sodass die Arbeit nicht wirklich geruht hat, aber ich bin dennoch immer wieder ein wenig überrascht, wie weit das Beenden eines Manuskripts und die Veröffentlichung eines Buches auseinanderliegen können. Noch mehr habe ich das jedoch bei früheren Büchern gemerkt – noch bevor Drúdir 2 erschien, hatte ich bereits Teil 3 beendet, und auch jetzt merke ich wieder eine gewisse Distanz. Es ist seltsam, in Gedanken schon mindestens ein Buch weiter zu sein, wenn der aktuelle Roman für Lesende noch das glänzende neueste Werk ist.
Aber manchmal ist es auch ein Glück, dass sich in der Buchproduktion vieles langsam bewegt (wenn auch nicht die Dinge, die man erwarten würde – zwischen Druckfreigabe und Auslieferung vergeht z.B. sehr wenig Zeit). Thematisch passend zu „Das Buch der Augen“ haben sich bei mir im Verlauf von 2020 und 2021 gesundheitliche Probleme (immerhin neue) gezeigt und stetig verstärkt, sodass an kreative Arbeit kaum zu denken war. Wäre das Buch nicht längst geschrieben gewesen, hätte ich es nicht zum geplanten Termin liefern können. Aktuell kann ich wenig darüber sagen, wie es bei mir karrieremäßig weitergeht, aber ich hoffe, im kommenden November endlich wieder an einem neuen Projekt arbeiten zu können.