In den ersten Monaten dieses Jahres habe ich zwei Bücher beziehungsweise Reihen gelesen, die meiner Meinung nach das meiste aus ihrer gewählten Perspektive – Erzählen aus der ersten Person – herausholen. Dabei könnten ihr Setting, ihr Genre, viele zentrale Themen und die Art, wie sie diese Perspektive einsetzen, kaum verschiedener sein. Und weil ich viel zu lange keinen Blogpost mehr geschrieben habe, schaue ich mir das jetzt mal öffentlich im Detail an:
Relativ traditionell, aber einfach fantastisch umgesetzt ist das Erzählen in der ersten Person in Peter McLeans „War for the Rosethrone“-Reihe, deren letzten beiden Bände ich diesen Monat beendet habe. Die „War for the Rosethrone“-Tetralogie (aktuell sind die ersten beiden Bände auch auf Deutsch erhältlich) stellt quasi einen Ausschnitt aus der Autobiografie des Protagonisten, Tomas Piety, dar. Als Kriegsveteran, Priester, Gangster, Vollstrecker für einige sehr gefährliche Leute und schließlich politischer Spieler mit einer eigenen Agenda spielt er im Verlauf der Handlung so einige Rollen und erzählt im Rückblick sehr offen davon.
Tomas erzählt in einer unverwechselbaren Stimme und mit so einigen Signatur-Formulierungen von brutalen Machtkämpfen, von Familie, Freundschaft und den Traumata, die ihn teilweise seit seiner Kindheit begleiten. Peter McLean schafft es wirklich, das Gefühl zu vermitteln, dass Tomas direkt seine Geschichte erzählt.* Viel erzählt sein Protagonist explizit, hat immer wieder Momente der Introspektion und wechselt zwischen Rechtfertigung, Selbstanklage und Resignation, und was zwischen den Zeilen steht, vermittelt noch mehr über Tomas’ Verletzlichkeit und Widersprüche.
Tomas erzählt ehrlich – oder zumindest gibt es im Buch keine Anzeichen dafür, dass er sein Publikum in die Irre führen möchte, vertraut er dem Papier doch Dinge an, die der auf Status und Kontrolle bedachte Mann nicht in eine offizielle Biografie packen würde. Die Auslassungen und Rechtfertigungen im Buch scheinen sich daran anzulehnen, was Tomas selbst glauben will. Der Text hat also etwas von einem (literarisch geglätteten) Tagebuch oder Geständnis. Ich denke, es ist in erster Linie dieser sehr charismatischen Erzählstimme zu verdanken, dass die Bücher trotz ihrer allgegenwärtigen Düsternis einen starken Sog entwickeln.
Meine Rezensionen zu der Reihe findet ihr auf Literatopia. Die Rezensionen für Band eins bis drei sind online, die für Band vier lade ich in den nächsten Tagen hoch.
Ganz anders sieht es in „Drei Kameradinnen“ aus – hier wechseln wir nicht nur das Genre von Düster-dreckiger Low Fantasy zu einem Gegenwartsroman, sondern auch die Art, wie das Erzählen in der ersten Person eingesetzt wird, ist eine ganz andere. Auch hier erwacht die erzählende Person – in diesem Fall Kasih, eine junge Woman of Color in Deutschland – dank ihrer individuellen Erzählstimme zum Leben. Aber die imaginierte Erzählsituation ist eine ganz andere. Denn Kasih schreibt bewusst für ein Publikum und spricht dieses direkt und konfrontativ an.
Kasih ist sich sehr bewusst, dass sie kontrolliert, was das Publikum von ihr erfährt. Sie spielt mit der Chronologie und hin und wieder auch mit der Wahrheit, konfrontiert das Publikum mit dessen Erwartungen und ihren eigenen Erfahrungen. So führt sie die Lesenden auf chaotische Weise durch die Vorgeschichte eines Tages, an dessen Ende jemand tot sein wird. Auf dem Weg dorthin entspinnt sich eine Geschichte um eine enge Freundschaft, um Rassismus, Klassismus und Selbstbehauptung, erzählt mit Humor und scharfzüngigen, präzisen Beobachtungen.
Durch die Art des Erzählens, diese unübersehbare Aneignung der Kontrolle und Perspektive durch die Protagonistin, wird unmittelbar die Aufmerksamkeit auf den Akt des Erzählens an sich gelenkt und darauf, wer normalerweise redet und durch wessen Perspektive wir normalerweise auf die Welt blicken. Dies ist einerseits literarisch spannend, aber unterstreicht andererseits perfekt die gesellschaftskritischen Themen des Buches. Auch "Drei Kameradinnen" habe ich für Literatopia rezensiert.
Was beide Bücher machen, ist, dass sie den Rahmen für die Erzählsituation relativ explizit machen: Sowohl Tomas als auch Kasih schreiben ihre Geschichte auf, auch wenn bestimmte Details dabei vage bleiben. Das unterscheidet sich von einer anderen typischen Verwendungsweise der ersten Person, bei der es sich weniger anfühlt, als würden wir eine Geschichte erzählt bekommen und mehr, als wären wir als blinde*r Passagier*in im Kopf der Figur unterwegs, während sich die Ereignisse entfalten. Auch dies ist in einigen Büchern sehr effektiv eingesetzt. Mehr zu meinen allgemeineren Überlegungen zum Erzählen in der ersten Person, Variationen davon und Vor- und Nachteilen gegenüber anderen Perspektiven findet ihr in diesem mittlerweile ziemlich alten Post:
*Natürlich fehlen dem Buch die kleinen Imperfektionen, die man zum Beispiel von einem Tagebuch erwarten würde. Aber ich denke, dass jede Buchfigur, die einen längeren Text schreibt oder eine Geschichte erzählt, plötzlich den*die routinierte Autor*in in sich entdeckt, ist eine Abweichung von Realismus, die Lesende gern akzeptieren. Und die „War for the Rose Throne“-Bücher haben gerade genug Mündlichkeits-Marker wie zum Beispiel die refrainhaften Lieblingsformulierungen des Protagonisten, dass trotzdem das Gefühl eines sehr authentischen Texts aufkommt.