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Meine Bücher des Jahres 2023

Swantje Niemann • 28. Dezember 2023

Ich habe dieses Jahr wieder eine Menge guter Bücher gelesen. Hier sind ein paar Empfehlungen.

Die vier Bücher

Sachbücher

Richard Thompson Ford: Dress Codes

„Dress Codes“ beleuchtet die Geschichte von Mode und ihre enge Verflechtung mit Ideen über Geschlecht, Zugehörigkeit und Status über mehrere Jahrhunderte hinweg bis in die Gegenwart hinein. Detailreich, unterhaltsam und aktuell enthüllt das Buch spannende Details über den Alltag in der Vergangenheit und Gegenwart und ordnet diese in einem größeren historischen Kontext ein. Besonders interessant fand ich unter anderem den Teil über die symbolische Rolle der Kleidung Schwarzer Aktivist*innen in der USA in der jüngeren Vergangenheit und Gegenwart.


Paul Craddock: Spare Parts

“Spare Parts” ist ebenfalls ein Buch, das einen bestimmten Gegenstand über mehrere Epochen hinweg begleitet. In diesem Fall geht es um die Geschichte der Transplantationschirurgie, die überraschend früh ihren Anfang nahm. Craddock erzählt von der Weiterentwicklung des Wissenstands über und der technischen Möglichkeiten für Transplantationen und beschreibt ihre Wechselwirkung mit dem Blick, den Menschen auf ihre Körper haben.


Carmilla Townsend: Fifth Sun

„Fifth Sun“ war ein interessanter Einblick in ein Thema, mit dem ich mich bisher kaum auskannte: Die Geschichte der Mexíca (Fremdbezeichnung: Azteken) vor und nach der Eroberung durch Spanien. Townsend nutzt als Grundlage ihrer Darstellung Texte, die von von Mönchen ausgebildeten Mexíca verfasst wurden, also lateinische Schrift und die historiografische Tradition der Mexíca zusammenführen.


Patrick Wyman: The Verge - Reformation, Renaissance, and Forty Years that Shook the World

“The Verge” erzählt die Geschichte Europas im Zeitraum von 1490 bis 1530 und hebt diesen als wichtigen Wendepunkt der Weltgeschichte hervor. Anhand von zehn historischen Figuren schreibt Wyman über Buchdruck, Globalisierung, Steuern, Religion und vieles mehr. Bei den Figuren handelt es sich um Herrscher*innen und „Entdecker“ ebenso wie um Kaufleute oder Buchdrucker. So entsteht ein spannendes, zugängliches Buch, das großen Zusammenhängen greifbare Gesichter gibt. Die eigentliche Hauptfigur von „The Verge“ ist mehr oder weniger das Kapital.


Eduardo Galeano: Open Veins of Latin America

“Open Veins of Latin America” ist ein Klassiker zum Thema Kolonialismus. Der Autor erzählt darin wütend und detailreich von der Ausbeutung Lateinamerikas. Die genaue Gestaltung der Einflussnahme anderer Länder habe sich mit der Zeit geändert, die fehlende Selbstbestimmung und der Abfluss wichtiger Ressourcen nicht.


Mithu Sanyal: Über Emily Bronte

Mithu Sanyals Buch bietet eine lesenswerte Perspektive auf Emily Bronte und ihren Klassiker „Sturmhöhe“. Es geht sowohl um die Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte des Buches als auch um Sanyals persönlichen Zugang dazu. Definitiv bereichernde Lektüre.


Peter Dausend, Horand Knaup: Alleiner kannst du gar nicht sein

„Alleiner kannst du gar nicht sein“ ist eine Serie von interessanten Einblicken in die Lebenswelt von Abgeordneten – darüber, wie Abläufe im Bundestag funktionieren, mit welchen Privilegien und Belastungen die Tätigkeit als Abgeordnete*r einhergeht und wie schwer es sein kann, anschließend wieder in den Alltag zurückzufinden. Neben den teilweise sehr persönlichen Portraits liefert das Buch auch eine Menge Information über die Institutionen der deutschen Politik.


Thomas Piketty: Eine kurze Geschichte der Gleichheit

Thomas Piketty wollte mit “Eine kurze Geschichte der Gleichheit“ ein zugängliches Buch über (Un)Gleichheit schreiben und das ist ihm gut gelungen. Das Buch liefert eine spannende historische Betrachtung von lang nachwirkenden Ungerechtigkeiten ebenso wie überraschenden Entwicklungssprüngen, was Gleichheit und politische Teilhabe betrifft. Darüber hinaus macht Piketty konkrete Vorschläge für die Zukunft.


Romane

Peter McLean: War for the Rose Throne 3 und 4

Dieses Jahr habe ich mit „Priest of Gallows“ und „Priest of Crowns“ die letzten beiden Bände der „War for the Rose Throne“-Reihe gelesen. Die Grimdark-Tetralogie um einen Gangster-Boss, der mehr und mehr in die höchsten politischen Zirkel seines Landes hineingezogen wird, überzeugt vor allem durch die unverkennbare Stimme des Protagonisten und Ich-Erzählers. Seine Persönlichkeit durchdringt jede Zeile – und alles, was zwischen den Zeilen steht.


Max Gladstone: The Craft Sequence

Ich bin 2023 auch endlich dazu gekommen, Max Gladstones „Craft Sequence“ zu Ende zu lesen. Die Serie aus sechs ineinander verflochtenen Romanen schildert eine von Magie und den Kräften von Gottheiten durchdrungene Welt, die sich trotzdem in mehrfacher Hinsicht analog zu unserer entwickelt hat. Bildgewaltig erkundet sie Kompromisse und Widerstand in einer von ökonomischer Ungleichheit und mächtigen Institutionen geprägten Welt.

 

Malcolm Devlin: And then I Woke up

“And then I Woke Up” ist eine clevere Horrornovelle, die dem Subgenre der Zombie-Epidemie einen ungewöhnlichen Twist gibt. Ich will ihn nicht vorwegnehmen, aber er ermöglicht es der Geschichte, aktuelle Themen wie drastisch divergierende, manchmal komplett unvereinbare Wahrnehmungen der Realität in verschiedenen Bubbles und deren gefährliche Auswirkungen zu beleuchten. Auf der persönlichen Ebene geht es viel darum, wie Figuren mit ihrer Schuld umgehen.   


Christopher Buehlmann: Between Two Fires

Ein weiterer Roman, den ich dieses Jahr sehr gerne gelesen habe, ist Christopher Buehlmanns „Tale of Medieval Horror“, in dem ein gefallener Ritter sich plötzlich als Beschützer eines Mädchens mit einer göttlichen Mission wiederfindet, während das Land um sie herum nicht nur von der Pest, sondern auch von übernatürlichen Übeln heimgesucht wird. Darunter sind Monster, die ich mir tatsächlich gut in den Marginalia eines mittelalterlichen Manuskripts vorstellen könnte. „Between Two Fires“ ist düster und geht stellenweise sehr brutal mit seinen Figuren um, aber hat einen hoffnungsvollen, versöhnlichen Kern. Ich habe beim Lesen mit den Figuren mitgefiebert und ihnen ein Happy End gewünscht.


Jaroslav Kalfař: Spaceman of Bohemia

“Spaceman of Bohemia” ist ein kurzer, literarischer Science-Fiction-Roman über einen tschechischen Astronauten, der ein merkwürdiges Phänomen im Weltall erkunden soll. Die Erzählung seiner Erlebnisse im Weltraum ist eng verflochten mit seiner Familiengeschichte und der Geschichte seines Landes. Es geht um Schuld und nationale Identität und vieles mehr und stellenweise bleibt mehrdeutig, was nun wirklich passiert. (Überraschenderweise soll nächstes Jahr eine Netflix-Filmadaption für das Buch herauskommen, womit ich angesichts der teilweise sehr introspektiven Natur des Ganzen nicht gerechnet hätte).


Nghi Vo: The Empress of Salt and Fortune

“The Empress of Salt und Fortune” ist eine ruhige Novelle, die auf ihrer kurzen Seitenzahl viel Atmosphäre, Spannung und interessante Figurencharakterisierung mitbringt. Kleriker*in Chih interviewt darin eine Frau, deren Geschichte eng mit der einer berühmten Kaiserin verwoben war, und erfährt eine überraschende Enthüllung nach der anderen. Die Geschichte entfaltet sich in einem spannenden, ostasiatisch inspirierten Setting.


T. Kingfisher: Saint of Steel

Horror ist nicht das einzige Genre, in dem ich dieses Jahr mehr als sonst gelesen habe. Ich habe auch mal in Fantasy-Romance reingeschnuppert. Viele Bücher des Genres sind eher nicht mein Ding, aber T. Kingfishers „Saint of Steel“-Series war eine echte Entdeckung. In den Büchern geht es um die letzten Überlebenden eines Ordens von Paladinen, die ihren Gott verloren haben und nun desorientiert nach ihrem Platz in der Welt suchen.

Nacheinander finden sie neue Partnerschaften. Der Weg dahin ist aufgrund der Selbstzweifel der Figuren manchmal unnötig lang, aber alle Paare in der Reihe sind liebevoll geschrieben und es ist absolut glaubwürdig, dass sie sich ineinander verlieben. Es gibt viele witzige Dialoge und der „Order of the White Rat“, dem einige sehr coole Nebenfiguren angehören, ist eine Institution, wie sie in Fantasy-Romanen selten im Rampenlicht steht: eine Fraktion von Leuten, die langsam, stetig und pragmatisch Dinge um sich herum verbessern.

 

Shida Bazyar: Drei Kameradinnen

Shida Bazyar erzählt in “Drei Kameradinnen“ die Geschichte dreier sehr verschiedener Freundinnen – und thematisiert durch die Ich-Erzählerin neben Themen wie Migrationsgeschichte, Gentrifizierung, Rassismus, Klassismus, Traumata, Freundschaft und Solidarität auch immer wieder den Akt des Erzählens an sich.


M.A. Carrick: The Mask of Mirrors

“The Mask of Mirrors” geht es um Ren, die sich vor dem Hintergrund eines schillernden, gut entwickelten Settings den Weg in eine Adelsfamilie erschwindeln will und dabei in ein sehr gefährliches politisches und magisches Ränkespiel verwickelt wird. Es dauert nicht lange, bis man beim Lesen mit den verschiedenen Figuren mitfühlt und sich fragt, welche Geheimnisse sie alle verstecken. Besonders im Gedächtnis geblieben ist mir das liebevolle Worldbuilding mit einem besonderen Fokus auf den beiden Kulturen, die sich die Stadt teilen, in der das Buch spielt.


Brian McClellan: In the Shadow of Lightning

Brian McClellan übernimmt für “In the Shadow of Lightning” eine Menge Dinge, die bereits in den Powder-Mage-Büchern gut funktioniert haben wie zum Beispiel die verschiedenen PoV-Figuren mit jeweils verschiedenen Spezialisierungen, durch die viel Abwechslung in die Geschichte kommt. Wieder spielt ein neu ausgedachtes Magiesystem eine große Rolle, aber nie zu dem Punkt, wo es interessantere Elemente der Handlung oder Charakterisierung der Figuren verdrängt. Ein paar Punkte, die mich besonders angesprochen haben, war, wie gut die Figuren zusammenarbeiten, und die Gestaltung von einer der Hauptfiguren: Nachdem ein traumatisches Ereignis das Selbstvertrauen des jungen Politikers Demir zutiefst erschüttert hat, muss er Jahre später sein altes Leben anknüpfen und Verantwortung übernehmen, was er auch gut, aber eben mit einer neuen Verletzlichkeit macht.


Saša Stanišić: Herkunft

„Herkunft“ ist nicht nur ein emotionales und für die Gegenwart sehr relevantes autobiografisches Buch über die Komplexität von Migrations- und Fluchterfahrung, Identität und Erinnerung, sondern macht trotz der ernsten Themen auch einfach Spaß. Stanišić bricht wieder und wieder auf der Mikro- und Makroebene mit Erwartungen und erzählt witzig und formal innovativ.


Sonstige Empfehlungen (keine Bücher)

The Many Meanings of Bloodborne

Ich habe über längere Zeit T.B. Skyens ausgezeichnete Mischung aus Spiel-Stream und Analyse zu „Bloodborne“ verfolgt und habe auf die abschließende Episode, „The Many Meanings of Bloodborne“, gewartet, weil ich es immer sehr spannend finde, was verschiedene Leute aus Kunst mitnehmen. Ich habe mich sehr gefreut, dass sie dieses Jahr herausgekommen ist.


The Gamification of Public Discourse

The Gamification of Public Discourse” ist ein spannender Vortrag des Philosophie-Professors C. Thi Nguyen. Nguyen verbindet darin seine Gedanken zu der Verführungskraft von Vereinfachungen, Echo Chambers, Filter Bubbles, Gamifizierung und „moral outrage porn“ zu einer ziemlich guten und sympathisch präsentierten Analyse, was bei öffentlichem Diskurs schiefgehen kann. Einiges fühlt sich aus anderen Auseinandersetzungen mit dem Thema vertraut an, aber Nguyen fügt einige neue, sehr anregende Überlegungen hinzu.

Link

Grimdark Magazine

Ich habe die letzten Tage genutzt, um die Ausgaben des Grimdark Magazine zu lesen, die ich heruntergeladen hatte, nur um sie zu vergessen – und ich bin froh darüber. Die Literaturzeitschrift liefert solide bis ausgezeichnete Kurzgeschichten, spannende Interviews und Rezensionen und auch das eine oder andere gute Essay. (Bei den Essays stört mich allerdings manchmal der defensive Ton – ich glaube nicht, dass sich Leser*innen und Autor*innen düsterer Phantastik vor Leuten rechtfertigen müssen, die eine Literaturzeitschrift namens „Grimdark Magazine“ abonnieren.)

Die Bücher
von Swantje Niemann 20. Januar 2025
Auch in der zweiten Jahreshälfte von 2024 habe ich viele gute, und einige großartige Bücher gelesen. Ich habe viel aussortiert, um bei einer übersichtlichen Liste zu landen.
Hand mit einer Wunderkerze vor dunklem Hintergrund
von Swantje Niemann 9. Januar 2025
2024 endet, 2025 beginnt, und damit gehen große Veränderungen einher
Die drei ersten Bände der
von Swantje Niemann 29. Juli 2024
Willkommen zu einem Artikel, der eine Lupe über circa fünf Buchseiten hält.
Vier Bücher mit dem Schnitt nach vorne, sodass man die Post-Its zwischen den Seiten sehen kann
von Swantje Niemann 24. Juli 2024
Ich habe in den letzten Monaten nicht nur eine Menge interessanter Romane gelesen, sondern auch spannende, informative Sachbücher für mich entdeckt. Hier ist eine Auswahl: Outlaw Ocean von Ian Urbina ist aus einer Sammlung von investigativen Recherchen hervorgegangen, die sich alle um das Meer drehen. Ian Urbina erforscht, wie verschiedenste Personen und Unternehmen für sich ausnutzen, dass sie sich auf internationalen Gewässern leicht rechtlichen Einschränkungen und Kontrollen entziehen können. Er verfolgt unter anderem mit Umweltschützer:innen illegale Fischereischiffe, forscht moderner Sklaverei auf den Meeren nach und erzählt die Geschichten blinder Passagiere. Outlaw Ocean ist ein fesselndes Buch, das ein Schlaglicht auf die Ausbeutung von Menschen und Natur auf den Meeren wirft und auch spannende Einblicke in die Arbeitsweise und Erfahrungen des Autors als investigativer Journalist gibt. Das Klimabuch , herausgegeben von Greta Thunberg, ist eine Sammlung von Artikeln, die den Klimawandel, dessen Hintergründe und mögliche Gegenmaßnahmen aus vielen verschiedenen Perspektiven erklären. Darunter sind zugängliche Erklärungen der physikalischen, ökologischen und meteorologischen Verflechtungen, vor deren Hintergrund erst klar wird, was für ein großes Problem der Klimawandel ist. Die Texte sind gut ausgesucht und werden von Fotos und hilfreichen Grafiken begleitet. Viele von ihnen stammen von Menschen, für die die Klimakrise nicht länger eine nebulöse Bedrohung in der Zukunft, sondern längst angekommen ist. Auch in Fen, Bog and Swamp von Annie Proulx geht es unter anderem um das Klima – genauer gesagt, um die Rolle, die Moore, Sümpfe und Fenns für dieses und für Artenvielfalt spielen. Das Buch ist eine ebenso poetische wie für die relevante Geschichte von Feuchtgebieten und deren Rezeption und Zerstörung durch Menschen. In Klassenbeste analysiert Marlen Hobrack anhand der Geschichte ihrer Familie – vor allem der ihrer Mutter, aber auch ihrer Großmutter und ihrer eigenen –, was es für sie bedeutet hat und bedeutet, Frau, Arbeiterin, Ostdeutsche und Mütter zu sein. Sie nimmt dabei mit Frauen aus der Arbeiterklasse eine Kategorie in den Fokus, die jeweils in Diskursen über Geschlecht und über Klasse häufig ausgeblendet wird. Das Buch bietet auf kleinem Raum viele Infos und auch konkrete Handlungsaufforderungen. Mythos Bildung von Aladin El-Mafaalani bietet ebenfalls eine hohe Dichte von Informationen und ist dabei sehr zugänglich geschrieben. Es handelt sich um eine soziologische Analyse der Bildungslandschaft in Deutschland, in welcher der Begriff des Habitus eine Schlüsselrolle spielt. El-Mafaalani analysiert, ob und zu welchen Bedingungen ein gesellschaftlicher Aufstieg möglich ist und zeigt auf, dass es eine starke Bildungsexpansion gegeben hat, dass also alle gebildeter werden, aber dass sich dabei auch Ungleichheiten vergrößert haben. Die Lösungsvorschläge, die er für Ungleichheiten im Bildungssystem macht, haben meiner Meinung nach eine gute Balance aus Ehrgeiz und Pragmatismus.
Die Bücher
von Swantje Niemann 9. Juli 2024
Ich habe in der ersten Jahreshälfte wieder einige Buchentdeckungen gemacht. Hier ist ein Zwischenbericht: Fantasy Blood over Bright Haven von M.L. Wang erzählt mit großer emotionaler Intensität die Geschichte der brillanten, ehrgeizigen Magierin Sciona, die sich in einer feindseligen Universität durchsetzen muss – und über eine Wahrheit stolpert, welche ihr gesamtes Weltbild ins Wanken bringt. Das Buch ist nicht subtil in seinen Aussagen zu Rassismus und Sexismus, aber sie sind interessant und komplex genug (z.B. was das Ineinandergreifen von Rassismus, Sexismus, Klassismus und die sehr engen Grenzen des Feminismus der Hauptfigur betrifft), dass das nicht negativ ins Gewicht fällt.  Robert Jackson Bennetts The Tainted Cup verbindet gleich mehrere Genres: High Fantasy mit originellem Worldbuilding trifft hier auf einen klassischen Krimi-Plot mit einem exzentrischen Ermittler*innen-Duo, während im Hintergrund eine Katastrophe abgewendet werden muss. Das Resultat ist originell und sehr zufriedenstellend. Mit The Book that Wouldn’t Burn beginnt Mark Lawrence eine neue Trilogie, die gut genug geschrieben ist, um mich darüber hinwegsehen zu lassen, dass einige Elemente des Plots (z.B. Zeitreisen) eigentlich gar nicht mein Ding sind. Das Setting ist eine gigantische Bibliothek, die Fokus eines uralten Streits um das zweischneidige Schwert des Wissens ist. Was mich überrascht hat: die überraschend süße Liebesgeschichte, die eine große Rolle für den Roman und seinen Folgeband spielt. Urban Fantasy Naomi Noviks Scholomance -Trilogie ist eine kurze YA-Reihe, die auch erwachsene Leser*innen überzeugen kann. Sie wartet mit einer originellen Variante einer Zauberschule und einer Protagonistin auf, die äußerst schlecht gelaunt das Richtige tut und deren Erzählstil die düsteren Aspekte des Settings auf Distanz hält. Das besondere an der Reihe ist, dass sie ihre Figuren nicht wirklich gegen Antagonist*innen, sondern gegen ein systemisches Problem arbeiten – und dass es, was bei solchen Ausgangssituationen nicht sehr häufig ist, trotzdem eine optimistische Geschichte ist. In Ink Blood Sister Scribe von Emma Törsz geht es um zwei Halbschwestern, deren Leben auf sehr verschiedene von der Sammlung magischer Bücher bestimmt wird, die ihre Familie hütet. Das Buch beginnt, als sie sich nicht länger vor ihren Gegenspieler*innen verbergen können. Das Figurenensemble ist klein und statt einer ausgreifenden verborgenen Welt gibt es hier nur einige wenige übernatürliche Elemente. Figuren und Magie sind aber sorgfältig ausgearbeitet und greifen gut ineinander. Ink Blood Sister Scribe nimmt sich viel Zeit für atmosphärische, präzise Beschreibungen. Es ist auch mal wieder original deutschsprachige Fantasy dabei: Noah Stoffers reiht sich mit A Midsummer’s Nightmare in die Reihe der Autor*innen ein, die den Dark-Academia-Trend aufgreifen. Protagonist*in Ari muss die übernatürlichen Geheimnisse einer elitären, altehrwürdigen Universität erkunden, bevor diese Ari und Aris Freund*innen gefährlich werden. Stoffers setzt aus anderen Büchern des Subgenres wie zum Beispiel „Das neunte Haus“ bekannte Elemente gekonnt um (z.B. auch das Topos marginalisierter Figuren, die Außenseiter*innen in einer Hochburg alter Privilegien sind). Sier ergänzt eine großzügige Prise originelles Worldbuilding und stellt eine nicht-binäre Figur ins Zentrum, was insbesondere in der deutschsprachigen Phantastik bisher ziemlich selten ist. Das fügt sich alles zu einem harmonischen Ganzen zusammen. Science Fiction Mit Arboreality hat Rebecca Campbell einen berührenden Roman aus ineinandergreifenden Geschichten geschrieben, in denen Menschen und Bäume die Klimakrise überdauern. Sie schildert eine nahe Zukunft voller Melancholie und Hoffnung. Weitaus bissiger geht es in Venomous Lumpsucker von Ned Beauman zu. Der Near-Future-Roman denkt Trends der Gegenwart weiter und fügt sie zu einem temporeichen Thriller rund um Umweltzerstörung und den Verlust von Artenvielfalt zusammen, mit einer Menge gezielter Seitenhiebe und dunkler Situationskomik. Exordia von Seth Dickinson ist ein abgedrehter First-Contact-Roman, der wild Genres mixt und seine Figuren immer wieder vor moralische Dilemmata stellt – inklusive der Entscheidung über das Schicksal der Erde. Humor, Schrecken und emotional berührende Momente liegen hier dicht beieinander. Das Buch greift auch die Geschichte der Kurden und amerikanischer Interventionen im Nahen Osten auf. Ich bin endlich dazu gekommen, Machineries of Empire von Yoon Ha Lee zu beenden. Dabei handelt es sich umi eine Science-Fantasy-Trilogie rund um ein interstellares Imperium, in dem Mathematik und Rituale die Realität verändern können und die Funktion von Technologie vom Einhalten des imperialen Kalenders abhängt. Wer sich auf die steile Lernkurve des Buches einlässt, wird mit einer mitreißenden Geschichte, einer farbenprächtigen Welt, relevanten Themen und charismatischen Figuren belohnt (insbesondere Shuos Jedao, der untote General, der eine Schlüsselrolle für die Bücher spielt).
Bild einer etwas krakeligen Mindmap
von Swantje Niemann 20. November 2023
Gleich noch ein spannendes Team-Projekt!
Cover des Romans
von Swantje Niemann 4. November 2023
"Königsgift" und seine ungewöhnliche Entstehungsgeschichte
Die Bücher
von Swantje Niemann 22. April 2023
Die Liste der Bücher, die sich mir 2022 eingeprägt haben, ist mal wieder sehr lang geworden. Hier sind ein paar davon: Fantasy 2022 habe ich die „Green Bone“-Saga beendet und zusätzlich die Novelle „The Jade Setter of Janloon“ gehört. Fonda Lee führt die Geschichte um den No-Peak-Clan zu einem sehr befriedigenden Ende und weitet immer weiter aus, wie viel von ihrer sehr modern und realistisch anmutenden Sekundärwelt ihre Geschichte abdeckt. Sie schreibt charismatische, moralisch ambige Figuren, die sich beim Lesen ins Gedächtnis schreiben und deren Überzeugungen und Charakterzüge überzeugende Wechselwirkungen mit ihrer Gesellschaft haben. Ich habe im letzten Jahr auch den bisher neuesten Band der „Masquerade“-Reihe von Seth Dickinson gelesen. „The Tyrant Baru Cormorant“ ve rvollständigt das relativ unbefriedigende „The Monster Baru Cormorant“ zu einem schließlich doch sehr überzeugenden Ganzen. Es geht um Krebsmagie, um Imperialismus, Kolonialismus und Widerstand, und um eine faszinierende, zerrissene Hauptfigur, die viel(e) opfert, um ein Imperium zu Fall zu bringen. Der Weltenbau ist originell und komplex, die Auseinandersetzung mit Imperialismus und Kolonialismus tiefer, als ich es von dem Genre gewohnt bin. Ähnlich explizit anti-imperial geht es in „Babel“ von R.F. Kuang zu (tatsächlich hätte die Autorin dem Publikum hier und da ein bisschen mehr darin vertrauen können, dass es angesichts der geschilderten Ereignisse schon zu den gleichen Schlüssen kommt wie sie). In einem alternativen magischen Oxford des 19. Jahrhunderts findet der junge Übersetzer Robin intellektuelle Herausforderungen, Luxus und Freundschaft – vorausgesetzt, er spielt weiter brav seine Rolle als Handlanger eines Imperiums, das auf ihn angewiesen ist, aber ihm echte Zugehörigkeit verweigert. Schließlich erreicht Robin einen Punkt, an dem er eine Entscheidung treffen muss. Ein wütendes, mitreißendes Buch voller Wissen zu Geschichte und Linguistik (bei dem ich bei allen seinen Stärken allerdings kritisieren würde, dass bestimmte Figuren sich eher wie Werkzeuge, um bestimmte Punkte zu illustrieren, als wie dreidimensionale Persönlichkeiten anfühlen – Robins Charakterisierung ist jedoch gut gelungen). Außerdem konnte ich eines meiner großen Leseprojekte beenden: Ich habe nun alle zehn Bände des „Malazan Book of the Fallen“ gelesen. Es handelt sich um eine Buchreihe, die eine unglaubliche Bandbreite an Figuren, Schauplätzen, Plots, Registern und Themen abdeckt. Wie in einer so vielfältigen Reihe manchmal nicht anders zu erwarten, konnte ich mit einigen Abschnitten mehr anfangen als mit anderen. Aber die emotionalen Momente sind kraftvoll, die heraufbeschworenen Bilder episch und die Themen der Bücher sehr relevant. Malazan lesen fühlt sich manchmal ein bisschen wie Arbeit an, aber wie Arbeit, die es absolut wert ist. Manchmal scheuen Autor*innen davor zurück, Figuren mit marginalisierten Identitäten moralisch graue oder auch nur unsympathische Züge zu geben. In „Sanguen Daemonis“ ist das nicht der Fall. Anna Zabinis sehr diverses Figurenensemble steckt voller innerer und äußerer Konflikte, und hinzu kommt ein Setting voller Paranoia und Düsternis. Der dystopische Urban-Fantasy-Roman ist antichronologisch erzählt und ist insgesamt angenehm ehrgeizig. „Das Rot der Nacht“ von Kathrin Ils ist ein solider, in sich geschlossener Roman mit einem atmosphärischen, mittelalterlich inspirierten Setting. In der klaustrophobischen Atmosphäre eines von Misstrauen erfüllten Dorfes muss die Protagonistin, Belanca, mit einer sehr gefährlichen Situation umgehen. Im Zuge dessen stellt sie fest, dass mehr in ihr steckt, als erwartet. Science-Fiction Ich bin durch einen Artikel namens „The Edgy Writing of Blindsight“ auf Peter Watts Roman gestoßen und auch wenn ich nachvollziehen kann, wieso die Verfasserin nichts mit dem Buch anfangen konnte, war meine Neugier durch die Zitate geweckt – und ich bin froh darüber, das Buch gelesen zu haben. „Blindsight“ ist ehrgeizig, vollgestopft mit Ideen und eine ebenso düstere wie hypnotische Kombination aus Science Fiction und Cosmic Horror. Das Buch wartet mit einem kühnen Gedankenexperiment zu Intelligenz und Bewusstsein und mit einer starken zentralen These auf, der man nicht zustimmen muss, um etwas von dem Buch zu haben. Ich verstehe das Worldbuilding von „Ninefox Gambit“ zugegebenermaßen immer noch nicht komplett, aber diese Welt mit einem Imperium, dass einen speziellen Kalender befolgt und verteidigt und Macht aus diesem zieht, ist ebenso überwältigend, wie sie spannend ist. Darüber hinaus ist das Buch spannend, gut geschrieben und wartet mit einer außergewöhnlichen Figurenkonstellation (die Hauptfigur trägt den Geist eines vermeintlich wahnsinnigen Generals mit sich) und einigen überraschenden Wendungen auf. „The Light Brigade“ ist gritty, gesellschaftskritisch und hat mir gefallen, obwohl ich überhaupt kein Fan von Zeitreisegeschichten bin. In einer dystopischen Zukunft kämpfen hier Soldat*innen, die sich in Licht auflösen, um sich dann wieder an ihren Einsatzorten zu manifestieren, gegen einen mysteriösen Feind. Aber schnell bekommt die Protagonistin das Gefühl, dass etwas ganz und gar nicht stimmt. Kameron Hurley hat ein spannendes, wütendes Buch voller einprägsamer Zitate geschrieben. „Dem Blitz zu nah“ ist vielleicht eher interessant, als dass das Buch Spaß macht – aber dafür ist es wirklich sehr interessant. Ada Palmer entwirft eine Zukunft, in der nicht nur Technologien, sondern auch zum Beispiel der Umgang mit Geschlecht, mit „nationaler“ Zugehörigkeit und vielem mehr radikal geändert haben. Ein Protagonist mit einer sehr dunklen Vergangenheit erzählt unter zahlreichen Bezügen auf die Zeit der Aufklärung von der Verschwörung, die sich unter dem scheinbar utopischen Frieden der „Hives“ verbirgt. Wirklich utopisch geht es in „Pantopia“ zu – allerdings ist der Weg zu der Welt, in der die Menschenrechte das oberste Gebot und ethische Entscheidungen deutlich leichter sind als in der Gegenwart, holprig und voller Ungewissheiten. Und genau über diesen erzählt Theresa Hannig gekonnt. Sie erzählt von überzeugend gezeichneten Figuren, von moralischen Kompromissen und zweiten Chancen, und nicht zuletzt radikal hoffnungsvoll. „How High We Go in the Dark” habe ich quasi zusammen mit einem Buchclub gelesen – allerdings sind einige der Lesenden zwischendrin ausgestiegen und auch ich hatte Schwierigkeiten, das Buch zu beenden. Das liegt aber keineswegs daran, dass Sequoia Nagemutsus ineinander verflochtene Geschichten schlecht wären, sondern vielmehr daran, wie bedrückend nah sich der Roman anfühlt. Es geht um eine Pandemie, Klimawandel und das oft vergebliche Bemühen, geliebte Menschen zu beschützen. In diesem Roman bricht der oft verdrängte Tod mit solcher Macht wieder in unsere Gesellschaft ein, dass den Figuren nichts anderes als eine kollektive Auseinandersetzung damit – und damit, was sie verbindet – übrigbleibt. Sachbuch „Faultiere - Ein Portrait“ von Tobias Keiling, Heidi Liedke und Judith Schalansky (Hg). konnte mich mit seinem originellen Konzept und einer Menge neuem Wissen beeindrucken. Das Buch stellt quasi eine kurze Rezeptionsgeschichte des Faultiers dar, eine Geschichte der Projektionen auf dieses ungewöhnliche Tier, die wiederum viel über die Betrachtenden verraten. In „Entstellt“ von Amanda Leduc verbindet die Autorin autobiografisches Schreiben mit einer Analyse der Darstellung von Menschen mit Behinderungen oder Entstellungen in Märchen und moderner Popkultur.
Print-Ausgaben von
von Swantje Niemann 13. April 2023
Zwei sehr verschiedene Bücher erzählen beide in der ersten Person. Ich schaue mir mal genauer an, was ihren Ansatz dabei unterscheidet und wieso das in beiden Fällen sehr gut funktioniert.
Titelseite einer Ausgabe von
26. November 2022
Zusammenfassung, Rezension und ein bisschen Literaturepochen-Kontext
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