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"Dune" - Rezension zu Buch und Film

Swantje Niemann • 30. Oktober 2021
Dünen unter einem rötlichen Sonnenuntergang

Ich wollte Frank Herberts „Dune“ schon seit einer Weile lesen und dieses Jahr hat mir der Film den Stupser gegeben, den ich brauchte, um das endlich zu machen. Und ich bin tatsächlich sehr froh darüber, denn es handelt sich um ein Buch, das nicht perfekt ist, aber seinen Status als Science-Fiction-Klassiker dennoch verdient hat. 


Worum geht es? Auf dem Planeten Arrakis wird „Spice“ abgebaut, eine psychoaktive Substanz, die u.a. eine entscheidende Rolle für die Raumfahrt spielt. Aktuell wird der Planet von dem Adelshaus Harkonnen kontrolliert, aber das ist nicht mehr lange der Fall: Der Gott-Kaiser übergibt den Planeten dem konkurrierenden Haus Atreides – nur um dann insgeheim die Harkonnens bei einem Angriff auf ihre Nachfolger zu unterstützen, denn der wachsende Einfluss von Haus Atreides war ihm seit einer Weile ein Dorn im Auge.

Jedoch überleben die Gefährtin des Fürsten, Lady Jessica, und ihr Sohn Paul die Attacke. In der Wüste Arrakis finden sie so einige Geheimnisse und in den nomadischen Fremen, die ihre Lebensweise perfekt an den Planeten angepasst haben, auch Verbündete. Paul, der unter dem Einfluss von Spice eine beängstigende Vision seiner Zukunft gesehen hat, hat einen ehrgeizigen Plan, um den Einfluss der Harkonnens und des Kaisers, der seine Familie verraten hat, zu brechen.


In vieler Hinsicht liest sich „Dune“ mehr wie High Fantasy als wie Science Fiction. Wegen Schilden, die allzu schnelle Objekte stoppen, kämpfen Menschen hier mit Schwertern gegeneinander, die Fähigkeiten, die das Spice oder besonderes Training verleihen, wirken eher wie Magie und auch das feudale Herrschaftssystem lässt eher an Fantasy denken. Immer wieder fallen Andeutungen, wie sich die Welt zu dem Punkt entwickelt hat, wie sie jetzt ist (z.B. stellt die „Orange Catholic Bible“ einen Versuch dar, mehrere religiöse Traditionen zu vereinen und ist hier und da von einem großen Kampf zwischen Mensch und Maschine in der Vergangenheit die Rede, welcher die Abwesenheit von Computern erklärt). 


Hinter dem Kaiser und den Adelshäusern ziehen die Bene Gesserit die Fäden – eine Organisation von Frauen, die über Jahrtausende hinweg ein ehrgeiziges Eugenik-Projekt verfolgt hat, das nun in einem oder einer Auserwählten seinen Höhepunkt finden. Und auf mehreren Planeten hat die „Missionaria Protectiva“ die Samen von Mythen gepflanzt und Prophezeiungen verbreitet, die sich Paul und Jessica zu Nutze machen können. 


In „Dune“ treffen so einige Themen aufeinander. Einerseits erscheinen Figuren wie Paul und die bei den Bene Gesserit aufgewachsene Jessica mit ihren magischen Fähigkeiten und ihrer einzigartigen Einsicht in die Zukunft wie überlebensgroße Gestalten inmitten von NPCs – ein wenig erinnert das an den „Große Männer machen Geschichte“-Ansatz von Historiographie. Andererseits wird Paul von seinem eigenen Mythos vor sich hergetrieben und versucht verzweifelt, den Djihad in seinem Namen, den er vorhersieht, abzuwenden. „Dune“ ist ein Buch über die Instrumentalisierung von Mythen ebenso darüber, wie sie ein Eigenleben entwickeln und ihren vermeintlichen Protagonist*innen Handlungsspielräume rauben können (ich musste ein bisschen an Tolstoys Reflektionen über Napoleon in „Krieg und Frieden“ denken).


Jedes Kapitel wird von einem Zitat von Prinzessin Irulan eingeleitet, die erst spät im Verlauf der Handlung direkt in Erscheinung tritt. Aus diesen Zitaten geht wieder und wieder hervor, dass Paul ein anderer Mann ist als der, zu dem die Geschichtsschreibung ihn stilisiert. Die Person, die er stattdessen ist, wird jedoch immer schwerer greifbar.


 Denn während die ersten Kapitel des Buches wie in Zeitlupe geschrieben sind und die Spannung und dunklen Vorahnungen während der Ankunft der Atreides und ihrer Gefolgsleute auf Arrakis detailliert schildern, bewegt sich das Buch schließlich in immer größeren Schritten durch die Ereignisse, liefert Zusammenfassungen von epischem Geschehen und schafft dabei auch zunehmend Distanz zwischen Lesenden und Figuren. Während die erste Hälfte eher Figuren und ihre Hintergedanken erkundete (ein allwissender Erzähler hat Einblick in die unausgesprochenen, im Text kursiv dargestellten Gedanken aller Figuren), geht es in der zweiten Hälfte um Ideen und große historische Zusammenhänge.


Eine der Stärken von „Dune“ ist, wie hier Religion und Politik, Wirtschaft und Ökologie in Verbindung miteinander gezeigt werden. Der Weltenbau ist interessant, vielschichtig und innovativ. Es wird wenig explizit erklärt, aber nach und nach setzt sich für Lesende das Bild zusammen. 


Ist der 1965 veröffentlichte Roman gut gealtert? Teils teils. Unangenehm fand ich beim Lesen die Gegenüberstellung der femininen oder übergewichtigen und bisexuellen Antagonisten und den positiv gezeichneten Figuren, die stärker traditionellen Gender- und Attraktivitätsnormen entsprechen. Und auch wenn einige wenige sehr interessante und mächtige Frauenfiguren wie z.B. Lady Jessica auftreten, sind ein Großteil der detaillierter geschilderten Figuren, die den Plot vorantreiben, Männer. 


Ein Vorwurf, dem ich jedoch nicht zustimmen würde, ist, dass es sich bei „Dune“ um eine „White Saviour“-Geschichte handle, denn immer wieder wird angedeutet, dass die Fremen benutzt statt gerettet werden. (“No more terrible disaster could befall your people than for them to fall into the hands of a Hero”). Vielleicht hätten die arabisch anmutenden Fremen noch mit etwas mehr Agency gezeichnet werden können, aber alles in allem erscheint mir „Dune“ als ein Buch, dass Kolonialismus und Missionsarbeit sehr kritisch bewertet. Das gleiche gilt für kurzsichtige Ausbeutung von Mensch und Natur. 


Die Neuverfilmung von „Dune“ (2021) schwelgt in epischen Panoramen der Wüste und gigantischer abhebender und landender Raumschiffe. Sie bewegt sich langsam und eng am Original durch die erste Hälfte des Buches. Es geht mit meiner Meinung nach etwas schwerfälliger Exposition los, aber er Film setzt bald auf die Fähigkeit der Zuschauenden, selbst Schlussfolgerungen zu ziehen. Die Besetzung ist gut gelungen – gerade Jessica sieht genauso aus, wie ich sie mir vorgestellt habe, und auch die anderen Schauspielenden passen gut in ihre Rollen. Der im Buch männliche Ökologe Kynes wird hier von einer Schwarzen Frau gespielt, was mehr Vielfalt in das Figurenensemble bringt, ohne etwas am Kern der Figur zu ändern. Es gelingt dem Film, schnell die Persönlichkeiten der Figuren zu etablieren.


Statt viel mit Voice-Overs zu arbeiten, zeigt der Film Figuren, die in verschiedenen Sprachen und mit zuvor vereinbarten Handzeichen kommunizieren, um die Atmosphäre eines Hofes zu vermitteln, in dem eine Menge verborgene Botschaften und Intentionen herumschwirren. Der Soundtrack passt gut zu den beeindruckenden Bildern.


Ich bin tatsächlich sehr gespannt auf den zweiten Film, denn während sich der erste sehr eng an das Buch halten konnte, wird die zweite Hälfte von „Dune“ wahrscheinlich einen Film erfordern, der sich stärker vom Buch entfernt und einige der Lücken zwischen den dort geschilderten Eckpunkten der Entwicklung von Figuren und politischer Situation füllt. 


Anmerkung: Zu der „Dune“-Ausgabe, die ich gelesen habe (Ace 1990), gehört auch ein sehr spannendes Nachwort über die Hintergründe des Buches, das der Sohn des Autors geschrieben hat. 

Mich hat auch eine Amazon-Rezension zu dieser Ausgabe sehr gut unterhalten, denn darin wird dem Buch bescheinigt, dass es eine schöne Cover-Illustration habe, aber leider nicht so gut in der Hand liege (mir ist das nicht aufgefallen). Zum Inhalt könne der*die Verfasser*in jedoch nichts sagen, da sie*er Bücher lediglich kauft, um Nerd-Freunde zu beeindrucken.


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Ich habe in den letzten Monaten nicht nur eine Menge interessanter Romane gelesen, sondern auch spannende, informative Sachbücher für mich entdeckt. Hier ist eine Auswahl: Outlaw Ocean von Ian Urbina ist aus einer Sammlung von investigativen Recherchen hervorgegangen, die sich alle um das Meer drehen. Ian Urbina erforscht, wie verschiedenste Personen und Unternehmen für sich ausnutzen, dass sie sich auf internationalen Gewässern leicht rechtlichen Einschränkungen und Kontrollen entziehen können. Er verfolgt unter anderem mit Umweltschützer:innen illegale Fischereischiffe, forscht moderner Sklaverei auf den Meeren nach und erzählt die Geschichten blinder Passagiere. Outlaw Ocean ist ein fesselndes Buch, das ein Schlaglicht auf die Ausbeutung von Menschen und Natur auf den Meeren wirft und auch spannende Einblicke in die Arbeitsweise und Erfahrungen des Autors als investigativer Journalist gibt. Das Klimabuch , herausgegeben von Greta Thunberg, ist eine Sammlung von Artikeln, die den Klimawandel, dessen Hintergründe und mögliche Gegenmaßnahmen aus vielen verschiedenen Perspektiven erklären. Darunter sind zugängliche Erklärungen der physikalischen, ökologischen und meteorologischen Verflechtungen, vor deren Hintergrund erst klar wird, was für ein großes Problem der Klimawandel ist. Die Texte sind gut ausgesucht und werden von Fotos und hilfreichen Grafiken begleitet. Viele von ihnen stammen von Menschen, für die die Klimakrise nicht länger eine nebulöse Bedrohung in der Zukunft, sondern längst angekommen ist. Auch in Fen, Bog and Swamp von Annie Proulx geht es unter anderem um das Klima – genauer gesagt, um die Rolle, die Moore, Sümpfe und Fenns für dieses und für Artenvielfalt spielen. Das Buch ist eine ebenso poetische wie für die relevante Geschichte von Feuchtgebieten und deren Rezeption und Zerstörung durch Menschen. In Klassenbeste analysiert Marlen Hobrack anhand der Geschichte ihrer Familie – vor allem der ihrer Mutter, aber auch ihrer Großmutter und ihrer eigenen –, was es für sie bedeutet hat und bedeutet, Frau, Arbeiterin, Ostdeutsche und Mütter zu sein. Sie nimmt dabei mit Frauen aus der Arbeiterklasse eine Kategorie in den Fokus, die jeweils in Diskursen über Geschlecht und über Klasse häufig ausgeblendet wird. Das Buch bietet auf kleinem Raum viele Infos und auch konkrete Handlungsaufforderungen. Mythos Bildung von Aladin El-Mafaalani bietet ebenfalls eine hohe Dichte von Informationen und ist dabei sehr zugänglich geschrieben. Es handelt sich um eine soziologische Analyse der Bildungslandschaft in Deutschland, in welcher der Begriff des Habitus eine Schlüsselrolle spielt. El-Mafaalani analysiert, ob und zu welchen Bedingungen ein gesellschaftlicher Aufstieg möglich ist und zeigt auf, dass es eine starke Bildungsexpansion gegeben hat, dass also alle gebildeter werden, aber dass sich dabei auch Ungleichheiten vergrößert haben. Die Lösungsvorschläge, die er für Ungleichheiten im Bildungssystem macht, haben meiner Meinung nach eine gute Balance aus Ehrgeiz und Pragmatismus.
Die Bücher
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Ich habe in der ersten Jahreshälfte wieder einige Buchentdeckungen gemacht. Hier ist ein Zwischenbericht: Fantasy Blood over Bright Haven von M.L. Wang erzählt mit großer emotionaler Intensität die Geschichte der brillanten, ehrgeizigen Magierin Sciona, die sich in einer feindseligen Universität durchsetzen muss – und über eine Wahrheit stolpert, welche ihr gesamtes Weltbild ins Wanken bringt. Das Buch ist nicht subtil in seinen Aussagen zu Rassismus und Sexismus, aber sie sind interessant und komplex genug (z.B. was das Ineinandergreifen von Rassismus, Sexismus, Klassismus und die sehr engen Grenzen des Feminismus der Hauptfigur betrifft), dass das nicht negativ ins Gewicht fällt.  Robert Jackson Bennetts The Tainted Cup verbindet gleich mehrere Genres: High Fantasy mit originellem Worldbuilding trifft hier auf einen klassischen Krimi-Plot mit einem exzentrischen Ermittler*innen-Duo, während im Hintergrund eine Katastrophe abgewendet werden muss. Das Resultat ist originell und sehr zufriedenstellend. Mit The Book that Wouldn’t Burn beginnt Mark Lawrence eine neue Trilogie, die gut genug geschrieben ist, um mich darüber hinwegsehen zu lassen, dass einige Elemente des Plots (z.B. Zeitreisen) eigentlich gar nicht mein Ding sind. Das Setting ist eine gigantische Bibliothek, die Fokus eines uralten Streits um das zweischneidige Schwert des Wissens ist. Was mich überrascht hat: die überraschend süße Liebesgeschichte, die eine große Rolle für den Roman und seinen Folgeband spielt. Urban Fantasy Naomi Noviks Scholomance -Trilogie ist eine kurze YA-Reihe, die auch erwachsene Leser*innen überzeugen kann. Sie wartet mit einer originellen Variante einer Zauberschule und einer Protagonistin auf, die äußerst schlecht gelaunt das Richtige tut und deren Erzählstil die düsteren Aspekte des Settings auf Distanz hält. Das besondere an der Reihe ist, dass sie ihre Figuren nicht wirklich gegen Antagonist*innen, sondern gegen ein systemisches Problem arbeiten – und dass es, was bei solchen Ausgangssituationen nicht sehr häufig ist, trotzdem eine optimistische Geschichte ist. In Ink Blood Sister Scribe von Emma Törsz geht es um zwei Halbschwestern, deren Leben auf sehr verschiedene von der Sammlung magischer Bücher bestimmt wird, die ihre Familie hütet. Das Buch beginnt, als sie sich nicht länger vor ihren Gegenspieler*innen verbergen können. Das Figurenensemble ist klein und statt einer ausgreifenden verborgenen Welt gibt es hier nur einige wenige übernatürliche Elemente. Figuren und Magie sind aber sorgfältig ausgearbeitet und greifen gut ineinander. Ink Blood Sister Scribe nimmt sich viel Zeit für atmosphärische, präzise Beschreibungen. Es ist auch mal wieder original deutschsprachige Fantasy dabei: Noah Stoffers reiht sich mit A Midsummer’s Nightmare in die Reihe der Autor*innen ein, die den Dark-Academia-Trend aufgreifen. Protagonist*in Ari muss die übernatürlichen Geheimnisse einer elitären, altehrwürdigen Universität erkunden, bevor diese Ari und Aris Freund*innen gefährlich werden. Stoffers setzt aus anderen Büchern des Subgenres wie zum Beispiel „Das neunte Haus“ bekannte Elemente gekonnt um (z.B. auch das Topos marginalisierter Figuren, die Außenseiter*innen in einer Hochburg alter Privilegien sind). Sier ergänzt eine großzügige Prise originelles Worldbuilding und stellt eine nicht-binäre Figur ins Zentrum, was insbesondere in der deutschsprachigen Phantastik bisher ziemlich selten ist. Das fügt sich alles zu einem harmonischen Ganzen zusammen. Science Fiction Mit Arboreality hat Rebecca Campbell einen berührenden Roman aus ineinandergreifenden Geschichten geschrieben, in denen Menschen und Bäume die Klimakrise überdauern. Sie schildert eine nahe Zukunft voller Melancholie und Hoffnung. Weitaus bissiger geht es in Venomous Lumpsucker von Ned Beauman zu. Der Near-Future-Roman denkt Trends der Gegenwart weiter und fügt sie zu einem temporeichen Thriller rund um Umweltzerstörung und den Verlust von Artenvielfalt zusammen, mit einer Menge gezielter Seitenhiebe und dunkler Situationskomik. Exordia von Seth Dickinson ist ein abgedrehter First-Contact-Roman, der wild Genres mixt und seine Figuren immer wieder vor moralische Dilemmata stellt – inklusive der Entscheidung über das Schicksal der Erde. Humor, Schrecken und emotional berührende Momente liegen hier dicht beieinander. Das Buch greift auch die Geschichte der Kurden und amerikanischer Interventionen im Nahen Osten auf. Ich bin endlich dazu gekommen, Machineries of Empire von Yoon Ha Lee zu beenden. Dabei handelt es sich umi eine Science-Fantasy-Trilogie rund um ein interstellares Imperium, in dem Mathematik und Rituale die Realität verändern können und die Funktion von Technologie vom Einhalten des imperialen Kalenders abhängt. Wer sich auf die steile Lernkurve des Buches einlässt, wird mit einer mitreißenden Geschichte, einer farbenprächtigen Welt, relevanten Themen und charismatischen Figuren belohnt (insbesondere Shuos Jedao, der untote General, der eine Schlüsselrolle für die Bücher spielt).
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Es geht um Krebsmagie, um Imperialismus, Kolonialismus und Widerstand, und um eine faszinierende, zerrissene Hauptfigur, die viel(e) opfert, um ein Imperium zu Fall zu bringen. Der Weltenbau ist originell und komplex, die Auseinandersetzung mit Imperialismus und Kolonialismus tiefer, als ich es von dem Genre gewohnt bin. Ähnlich explizit anti-imperial geht es in „Babel“ von R.F. Kuang zu (tatsächlich hätte die Autorin dem Publikum hier und da ein bisschen mehr darin vertrauen können, dass es angesichts der geschilderten Ereignisse schon zu den gleichen Schlüssen kommt wie sie). In einem alternativen magischen Oxford des 19. Jahrhunderts findet der junge Übersetzer Robin intellektuelle Herausforderungen, Luxus und Freundschaft – vorausgesetzt, er spielt weiter brav seine Rolle als Handlanger eines Imperiums, das auf ihn angewiesen ist, aber ihm echte Zugehörigkeit verweigert. Schließlich erreicht Robin einen Punkt, an dem er eine Entscheidung treffen muss. Ein wütendes, mitreißendes Buch voller Wissen zu Geschichte und Linguistik (bei dem ich bei allen seinen Stärken allerdings kritisieren würde, dass bestimmte Figuren sich eher wie Werkzeuge, um bestimmte Punkte zu illustrieren, als wie dreidimensionale Persönlichkeiten anfühlen – Robins Charakterisierung ist jedoch gut gelungen). Außerdem konnte ich eines meiner großen Leseprojekte beenden: Ich habe nun alle zehn Bände des „Malazan Book of the Fallen“ gelesen. Es handelt sich um eine Buchreihe, die eine unglaubliche Bandbreite an Figuren, Schauplätzen, Plots, Registern und Themen abdeckt. Wie in einer so vielfältigen Reihe manchmal nicht anders zu erwarten, konnte ich mit einigen Abschnitten mehr anfangen als mit anderen. Aber die emotionalen Momente sind kraftvoll, die heraufbeschworenen Bilder episch und die Themen der Bücher sehr relevant. Malazan lesen fühlt sich manchmal ein bisschen wie Arbeit an, aber wie Arbeit, die es absolut wert ist. Manchmal scheuen Autor*innen davor zurück, Figuren mit marginalisierten Identitäten moralisch graue oder auch nur unsympathische Züge zu geben. In „Sanguen Daemonis“ ist das nicht der Fall. Anna Zabinis sehr diverses Figurenensemble steckt voller innerer und äußerer Konflikte, und hinzu kommt ein Setting voller Paranoia und Düsternis. Der dystopische Urban-Fantasy-Roman ist antichronologisch erzählt und ist insgesamt angenehm ehrgeizig. „Das Rot der Nacht“ von Kathrin Ils ist ein solider, in sich geschlossener Roman mit einem atmosphärischen, mittelalterlich inspirierten Setting. In der klaustrophobischen Atmosphäre eines von Misstrauen erfüllten Dorfes muss die Protagonistin, Belanca, mit einer sehr gefährlichen Situation umgehen. Im Zuge dessen stellt sie fest, dass mehr in ihr steckt, als erwartet. Science-Fiction Ich bin durch einen Artikel namens „The Edgy Writing of Blindsight“ auf Peter Watts Roman gestoßen und auch wenn ich nachvollziehen kann, wieso die Verfasserin nichts mit dem Buch anfangen konnte, war meine Neugier durch die Zitate geweckt – und ich bin froh darüber, das Buch gelesen zu haben. „Blindsight“ ist ehrgeizig, vollgestopft mit Ideen und eine ebenso düstere wie hypnotische Kombination aus Science Fiction und Cosmic Horror. Das Buch wartet mit einem kühnen Gedankenexperiment zu Intelligenz und Bewusstsein und mit einer starken zentralen These auf, der man nicht zustimmen muss, um etwas von dem Buch zu haben. Ich verstehe das Worldbuilding von „Ninefox Gambit“ zugegebenermaßen immer noch nicht komplett, aber diese Welt mit einem Imperium, dass einen speziellen Kalender befolgt und verteidigt und Macht aus diesem zieht, ist ebenso überwältigend, wie sie spannend ist. Darüber hinaus ist das Buch spannend, gut geschrieben und wartet mit einer außergewöhnlichen Figurenkonstellation (die Hauptfigur trägt den Geist eines vermeintlich wahnsinnigen Generals mit sich) und einigen überraschenden Wendungen auf. „The Light Brigade“ ist gritty, gesellschaftskritisch und hat mir gefallen, obwohl ich überhaupt kein Fan von Zeitreisegeschichten bin. In einer dystopischen Zukunft kämpfen hier Soldat*innen, die sich in Licht auflösen, um sich dann wieder an ihren Einsatzorten zu manifestieren, gegen einen mysteriösen Feind. Aber schnell bekommt die Protagonistin das Gefühl, dass etwas ganz und gar nicht stimmt. Kameron Hurley hat ein spannendes, wütendes Buch voller einprägsamer Zitate geschrieben. „Dem Blitz zu nah“ ist vielleicht eher interessant, als dass das Buch Spaß macht – aber dafür ist es wirklich sehr interessant. Ada Palmer entwirft eine Zukunft, in der nicht nur Technologien, sondern auch zum Beispiel der Umgang mit Geschlecht, mit „nationaler“ Zugehörigkeit und vielem mehr radikal geändert haben. Ein Protagonist mit einer sehr dunklen Vergangenheit erzählt unter zahlreichen Bezügen auf die Zeit der Aufklärung von der Verschwörung, die sich unter dem scheinbar utopischen Frieden der „Hives“ verbirgt. Wirklich utopisch geht es in „Pantopia“ zu – allerdings ist der Weg zu der Welt, in der die Menschenrechte das oberste Gebot und ethische Entscheidungen deutlich leichter sind als in der Gegenwart, holprig und voller Ungewissheiten. Und genau über diesen erzählt Theresa Hannig gekonnt. Sie erzählt von überzeugend gezeichneten Figuren, von moralischen Kompromissen und zweiten Chancen, und nicht zuletzt radikal hoffnungsvoll. „How High We Go in the Dark” habe ich quasi zusammen mit einem Buchclub gelesen – allerdings sind einige der Lesenden zwischendrin ausgestiegen und auch ich hatte Schwierigkeiten, das Buch zu beenden. Das liegt aber keineswegs daran, dass Sequoia Nagemutsus ineinander verflochtene Geschichten schlecht wären, sondern vielmehr daran, wie bedrückend nah sich der Roman anfühlt. Es geht um eine Pandemie, Klimawandel und das oft vergebliche Bemühen, geliebte Menschen zu beschützen. In diesem Roman bricht der oft verdrängte Tod mit solcher Macht wieder in unsere Gesellschaft ein, dass den Figuren nichts anderes als eine kollektive Auseinandersetzung damit – und damit, was sie verbindet – übrigbleibt. Sachbuch „Faultiere - Ein Portrait“ von Tobias Keiling, Heidi Liedke und Judith Schalansky (Hg). konnte mich mit seinem originellen Konzept und einer Menge neuem Wissen beeindrucken. Das Buch stellt quasi eine kurze Rezeptionsgeschichte des Faultiers dar, eine Geschichte der Projektionen auf dieses ungewöhnliche Tier, die wiederum viel über die Betrachtenden verraten. In „Entstellt“ von Amanda Leduc verbindet die Autorin autobiografisches Schreiben mit einer Analyse der Darstellung von Menschen mit Behinderungen oder Entstellungen in Märchen und moderner Popkultur.
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