Ich wollte Frank Herberts „Dune“ schon seit einer Weile lesen und dieses Jahr hat mir der Film den Stupser gegeben, den ich brauchte, um das endlich zu machen. Und ich bin tatsächlich sehr froh darüber, denn es handelt sich um ein Buch, das nicht perfekt ist, aber seinen Status als Science-Fiction-Klassiker dennoch verdient hat.
Worum geht es? Auf dem Planeten Arrakis wird „Spice“ abgebaut, eine psychoaktive Substanz, die u.a. eine entscheidende Rolle für die Raumfahrt spielt. Aktuell wird der Planet von dem Adelshaus Harkonnen kontrolliert, aber das ist nicht mehr lange der Fall: Der Gott-Kaiser übergibt den Planeten dem konkurrierenden Haus Atreides – nur um dann insgeheim die Harkonnens bei einem Angriff auf ihre Nachfolger zu unterstützen, denn der wachsende Einfluss von Haus Atreides war ihm seit einer Weile ein Dorn im Auge.
Jedoch überleben die Gefährtin des Fürsten, Lady Jessica, und ihr Sohn Paul die Attacke. In der Wüste Arrakis finden sie so einige Geheimnisse und in den nomadischen Fremen, die ihre Lebensweise perfekt an den Planeten angepasst haben, auch Verbündete. Paul, der unter dem Einfluss von Spice eine beängstigende Vision seiner Zukunft gesehen hat, hat einen ehrgeizigen Plan, um den Einfluss der Harkonnens und des Kaisers, der seine Familie verraten hat, zu brechen.
In vieler Hinsicht liest sich „Dune“ mehr wie High Fantasy als wie Science Fiction. Wegen Schilden, die allzu schnelle Objekte stoppen, kämpfen Menschen hier mit Schwertern gegeneinander, die Fähigkeiten, die das Spice oder besonderes Training verleihen, wirken eher wie Magie und auch das feudale Herrschaftssystem lässt eher an Fantasy denken. Immer wieder fallen Andeutungen, wie sich die Welt zu dem Punkt entwickelt hat, wie sie jetzt ist (z.B. stellt die „Orange Catholic Bible“ einen Versuch dar, mehrere religiöse Traditionen zu vereinen und ist hier und da von einem großen Kampf zwischen Mensch und Maschine in der Vergangenheit die Rede, welcher die Abwesenheit von Computern erklärt).
Hinter dem Kaiser und den Adelshäusern ziehen die Bene Gesserit die Fäden – eine Organisation von Frauen, die über Jahrtausende hinweg ein ehrgeiziges Eugenik-Projekt verfolgt hat, das nun in einem oder einer Auserwählten seinen Höhepunkt finden. Und auf mehreren Planeten hat die „Missionaria Protectiva“ die Samen von Mythen gepflanzt und Prophezeiungen verbreitet, die sich Paul und Jessica zu Nutze machen können.
In „Dune“ treffen so einige Themen aufeinander. Einerseits erscheinen Figuren wie Paul und die bei den Bene Gesserit aufgewachsene Jessica mit ihren magischen Fähigkeiten und ihrer einzigartigen Einsicht in die Zukunft wie überlebensgroße Gestalten inmitten von NPCs – ein wenig erinnert das an den „Große Männer machen Geschichte“-Ansatz von Historiographie. Andererseits wird Paul von seinem eigenen Mythos vor sich hergetrieben und versucht verzweifelt, den Djihad in seinem Namen, den er vorhersieht, abzuwenden. „Dune“ ist ein Buch über die Instrumentalisierung von Mythen ebenso darüber, wie sie ein Eigenleben entwickeln und ihren vermeintlichen Protagonist*innen Handlungsspielräume rauben können (ich musste ein bisschen an Tolstoys Reflektionen über Napoleon in „Krieg und Frieden“ denken).
Jedes Kapitel wird von einem Zitat von Prinzessin Irulan eingeleitet, die erst spät im Verlauf der Handlung direkt in Erscheinung tritt. Aus diesen Zitaten geht wieder und wieder hervor, dass Paul ein anderer Mann ist als der, zu dem die Geschichtsschreibung ihn stilisiert. Die Person, die er stattdessen ist, wird jedoch immer schwerer greifbar.
Denn während die ersten Kapitel des Buches wie in Zeitlupe geschrieben sind und die Spannung und dunklen Vorahnungen während der Ankunft der Atreides und ihrer Gefolgsleute auf Arrakis detailliert schildern, bewegt sich das Buch schließlich in immer größeren Schritten durch die Ereignisse, liefert Zusammenfassungen von epischem Geschehen und schafft dabei auch zunehmend Distanz zwischen Lesenden und Figuren. Während die erste Hälfte eher Figuren und ihre Hintergedanken erkundete (ein allwissender Erzähler hat Einblick in die unausgesprochenen, im Text kursiv dargestellten Gedanken aller Figuren), geht es in der zweiten Hälfte um Ideen und große historische Zusammenhänge.
Eine der Stärken von „Dune“ ist, wie hier Religion und Politik, Wirtschaft und Ökologie in Verbindung miteinander gezeigt werden. Der Weltenbau ist interessant, vielschichtig und innovativ. Es wird wenig explizit erklärt, aber nach und nach setzt sich für Lesende das Bild zusammen.
Ist der 1965 veröffentlichte Roman gut gealtert? Teils teils. Unangenehm fand ich beim Lesen die Gegenüberstellung der femininen oder übergewichtigen und bisexuellen Antagonisten und den positiv gezeichneten Figuren, die stärker traditionellen Gender- und Attraktivitätsnormen entsprechen. Und auch wenn einige wenige sehr interessante und mächtige Frauenfiguren wie z.B. Lady Jessica auftreten, sind ein Großteil der detaillierter geschilderten Figuren, die den Plot vorantreiben, Männer.
Ein Vorwurf, dem ich jedoch nicht zustimmen würde, ist, dass es sich bei „Dune“ um eine „White Saviour“-Geschichte handle, denn immer wieder wird angedeutet, dass die Fremen benutzt statt gerettet werden. (“No more terrible disaster could befall your people than for them to fall into the hands of a Hero”). Vielleicht hätten die arabisch anmutenden Fremen noch mit etwas mehr Agency gezeichnet werden können, aber alles in allem erscheint mir „Dune“ als ein Buch, dass Kolonialismus und Missionsarbeit sehr kritisch bewertet. Das gleiche gilt für kurzsichtige Ausbeutung von Mensch und Natur.
Die Neuverfilmung von „Dune“ (2021) schwelgt in epischen Panoramen der Wüste und gigantischer abhebender und landender Raumschiffe. Sie bewegt sich langsam und eng am Original durch die erste Hälfte des Buches. Es geht mit meiner Meinung nach etwas schwerfälliger Exposition los, aber er Film setzt bald auf die Fähigkeit der Zuschauenden, selbst Schlussfolgerungen zu ziehen. Die Besetzung ist gut gelungen – gerade Jessica sieht genauso aus, wie ich sie mir vorgestellt habe, und auch die anderen Schauspielenden passen gut in ihre Rollen. Der im Buch männliche Ökologe Kynes wird hier von einer Schwarzen Frau gespielt, was mehr Vielfalt in das Figurenensemble bringt, ohne etwas am Kern der Figur zu ändern. Es gelingt dem Film, schnell die Persönlichkeiten der Figuren zu etablieren.
Statt viel mit Voice-Overs zu arbeiten, zeigt der Film Figuren, die in verschiedenen Sprachen und mit zuvor vereinbarten Handzeichen kommunizieren, um die Atmosphäre eines Hofes zu vermitteln, in dem eine Menge verborgene Botschaften und Intentionen herumschwirren. Der Soundtrack passt gut zu den beeindruckenden Bildern.
Ich bin tatsächlich sehr gespannt auf den zweiten Film, denn während sich der erste sehr eng an das Buch halten konnte, wird die zweite Hälfte von „Dune“ wahrscheinlich einen Film erfordern, der sich stärker vom Buch entfernt und einige der Lücken zwischen den dort geschilderten Eckpunkten der Entwicklung von Figuren und politischer Situation füllt.
Anmerkung: Zu der „Dune“-Ausgabe, die ich gelesen habe (Ace 1990), gehört auch ein sehr spannendes Nachwort über die Hintergründe des Buches, das der Sohn des Autors geschrieben hat.
Mich hat auch eine Amazon-Rezension zu dieser Ausgabe sehr gut unterhalten, denn darin wird dem Buch bescheinigt, dass es eine schöne Cover-Illustration habe, aber leider nicht so gut in der Hand liege (mir ist das nicht aufgefallen). Zum Inhalt könne der*die Verfasser*in jedoch nichts sagen, da sie*er Bücher lediglich kauft, um Nerd-Freunde zu beeindrucken.