"Geopolitische" Fantasy, die ihrer Protagonistin fragwürdige Entscheidungen aufzwingt und nicht vor großen, unangenehmen Themen zurückscheut.
Klappentext
In Seth Dickinson’s highly-anticipated debut The Traitor Baru Cormorant, a young woman from a conquered people tries to transform an empire in this richly imagined geopolitical fantasy.
Baru Cormorant believes any price is worth paying to liberate her people – even her soul.
When the Empire of Masks conquers her island home, overwrites her culture, criminalizes her customs, and murders one of her fathers, Baru vows to swallow her hate, join the Empire’s civil service, and claw her way high enough to set her people free.
Sent as an Imperial agent to distant Aurdwynn, another conquered country, Baru discovers it’s on the brink of rebellion. Drawn by the intriguing duchess Tain Hu into a circle of seditious dukes, Baru may be able to use her position to help. As she pursues a precarious balance between the rebels and a shadowy cabal within the Empire, she orchestrates a do-or-die gambit with freedom as the prize.
But the cost of winning the long game of saving her people may be far greater than Baru imagines.
Handlung
Die begabte, junge Baru ist zunächst fasziniert, als die Schiffe des Imperiums der Masken (so genannt, weil es Leistung über Herkunft stellt und all seine Funktionäre Masken tragen) an den Küsten Taranokes anlegen. Sie möchte so viel wie möglich von den Fremden lernen. Doch rasch macht sie auch Bekanntschaft mit den Schattenseiten des Imperiums: Es duldet andere Länder nicht als Partner, sondern nur als Kolonien, und tut alles, um das Leben der Einheimischen zu kontrollieren. Alte Religionen dürfen nicht mehr ausgeübt werden, aber vor allem sind die Menschen nicht mehr frei in der Wahl ihrer Partner. Ehen werden arrangiert, um das Erbmaterial der Menschen zu optimieren, und die Strafen für alle, deren Beziehungen anders als heterosexuell und monogam sind, sind brutal. Als einer von Barus Vätern spurlos verschwindet, schlussfolgert sie, dass das Imperium dahintersteckt.
Das Imperium der Masken erobert nicht – oder kaum – mit Waffengewalt. Stattdessen sichert es sich durch seine Finanzpolitik exklusive Handelsrechte, entfremdet die begabtesten Kinder des Landes in abgeschotteten Schulen ihrer eigenen Kultur und macht sich womöglich auch zu Nutze, dass sie neue Krankheitserreger einschleppen, die alle, die keine Impfstoffe des Imperiums erhalten, dezimieren.
Baru versteht all das. Und sie versteht noch etwas: Jeder erfolgreiche Gegenschlag gegen das Imperium muss aus dessen eigenem Machtzentrum kommen. Also lernt sie wie besessen und erhält schließlich in Aurdwynn die Chance, dem Imperium ihren Wert zu beweisen. Als „Imperial Accountant“ übersieht sie alle Geldgeschäfte in der Provinz. Und hier setzt sie auch an, um ihre Pläne umzusetzen. Rebellionen, wie sie in Aurdwynn an der Tagesordnung sind, brauchen Geld. Und das bringt Baru auf die Spur einer Verschwörung.
Sie verstrickt sich tiefer und tiefer in die Politik Aurdwynns, wo sie zwischen Loyalisten und Rebellen und mächtigen Adeligen, die alle ihre ganz eigene Agenda haben, navigieren muss und immer wieder mit ihren eigenen widerstreitenden Loyalitäten konfrontiert ist – und mit ihren Gefühlen für die Herzogin Tain Hu, die sie in den Augen des Imperiums verdammen würden.
Die Welt, in der „The Traitor Baru Cormorant“ spielt, ist die Heimat verschiedenster Kulturen, die jedoch zunehmend unter den Einfluss des Imperiums mit seinem Kult um Wissenschaft und Fortschritt und Kontrolle geraten. Man erfährt nicht allzu viele Details, aber was sichtbar wird, ist originell und interessant.
Der Roman endet mit einem Höhepunkt und einer überraschenden Enthüllung, aber letztlich ist das Ende offen und die große Frage des Buches bleibt unbeantwortet. Trotzdem ist dieses offene Ende, das seine Figuren an einem Punkt zurücklässt, wo sie sich in die verschiedensten Richtungen entwickeln könnten, befriedigend, weil es gut zum Ton der Geschichte passt und zum Nachdenken und Spekulieren einläd. In einem sehr spannenden Interview mit dem „Grim Tidings Podcast“ hat Seth Dickinson Fortsetzungen angekündigt.
Figuren
„The Traitor Baru Cormorant“ folgt Baru dabei, wie sie sich entwickelt, wie sie Pläne schmiedet, und umsetzt. Wir erleben sie aber auch dabei, wie sie ihre Vorgehensweise ändern muss, weil sie sich verkalkuliert hat. Das geschieht gar nicht so oft, tendiert sie doch dazu, die anderen politischen Spieler zu unterschätzen, wie sie sich selbstkritisch eingesteht. Baru ist gut darin, Strukturen und Zusammenhänge zu erkennen und zu ihren Gunsten zu manipulieren, auch, weil sie sich nicht darüber erhaben fühlt, über die allerbanalsten und -praktischsten Aspekte nachzudenken und genau dort ansetzt. Selbst, als sie mehr oder weniger gegen ihren Willen zu einer Symbolfigur wird, bleibt sie in ihren eigenen Augen die Frau, deren Hauptsorge die Finanzierung der Revolution ist.
Baru ist hochintelligent und verfolgt voller Entschlossenheit ein eigentlich ehrenhaftes Ziel. Doch die Dinge, die sie tut, um das Vertrauen des Imperiums zu gewinnen, das Wirrwarr aus Loyalitäten, das sie unweigerlich zur Verräterin machen wird, verändern sie – nicht zu ihren Gunsten.
Allerdings ist Baru von Anfang an eine Figur, die aber so gut wie immer Distanz zu anderen Menschen und ihren eigenen Gefühlen wahrt. Nur gelegentlich blitzen ihre Emotionen und ihre starke ursprüngliche Motivation wieder auf und in diesen Momenten ist sie zutiefst sympathisch, doch die meiste Zeit über ist man eher von ihrem Intellekt fasziniert als von ihrer Persönlichkeit eingenommen.
Um Baru herum gruppiert sind zahlreiche wichtige politische Spieler, die alle ihre eigene markante Persönlichkeit und ihre ganz eigene Agenda haben und teilweise durch ihre Vorgeschichten miteinander verbunden sind.
Stil
Das Buch ist in der dritten Person aus der Sicht Barus geschrieben und ihre Perspektive und analytische Denkweise prägen die Erzählung: Man betrachtet das Geschehen häufig wie aus der Vogelperspektive und sieht durch Barus Augen die zugrundeliegenden Strukturen aufgedeckt. Militärische, politische und ökonomische Strategien werden ausführlich erklärt. Vielleicht ist dieser über weite Strecken sehr kühle Ton der Grund, wieso insbesondere später im Buch die (seltenen) Szenen, in denen Baru sich zu einigen ihrer Gefühle bekennt, eine besondere Wucht haben. Sonst muss man sie eher zwischen den Zeilen lesen.
Man sieht aber nicht nur die Menschen am Kartentisch, die die Entscheidungen treffen, sondern bekommt auch mit, welche Konsequenzen sie für die Betroffenen haben. Baru sieht keineswegs weg und fühlt sich für das Schicksal derjenigen, die ihr vertrauen, verantwortlich – was sie jedoch nicht davon abhält, die eine oder andere zutiefst fragwürdige Entscheidung zu treffen.
Der Stil passt gut zur Geschichte und die Hintergründe strategischer Entscheidungen werden einem auf ebenso unterhaltsame Weise nahegebracht wie die spannungsreiche Interaktion zwischen Figuren. Informationen über die Welt sind elegant eingeflochten.
Fazit
„The Traitor Baru Cormorant“ ist ein Buch um eine hochbegabte Heldin, die ihr Ziel, ein Imperium von innen heraus zu Fall zu bringen, mit Rücksichtslosigkeit und ungewöhnlichen Mitteln verfolgt, doch dabei immer Gefahr läuft, sich dabei hinter ihrer Maske selbst zu verlieren. Es ist auch ein ungewöhnliches Portrait einer Revolution, da Baru sie vor allem als eine Frage von Finanzen und Logistik begreift. Die Welt mit ihren Kulturen, ihrer Politik und Wirtschaft ist originell, komplex und realistisch und das Imperium teilweise ziemlich beklemmend dargestellt.
Die deutsche Übersetzung von Jakob Schmidt erschien unter dem Titel „Die Verräterin“ voraussichtlich im Juni 2017 bei Fischer Tor.
Tom Doherty Associates, September 2015
Imprint: Tor Books
ISBN: 9781466875128