Gerade ist der NaNoWriMo (National Novel Writing Month) zu Ende gegangen, und wahrscheinlich sind allen, deren Freund*innen sich daran beteiligt haben, allerlei Zahlen um die Ohren geflogen – denn beim NaNoWriMo ist das Ziel, binnen eines Monats 50.000 Wörter zu schreiben. Aber wie viel ist das eigentlich?
Zumindest für die großen Verlagsveröffentlichungen im Bereich Fantasy und Science Fiction gilt: Ein Roman dieser Länge wäre untypisch kurz. Ich habe mal auf Kobo die Wortzahlen für Fantasy- und Science-Fiction-Bücher einiger Kolleg*innen herausgesucht. Die vollständigen Titel findet ihr in Fußnote 1, Urban Fantasy ist dunkelgrün, High Fantasy hellgrün, Science Fiction türkis. Bitte keine Türkis-Hellblau-Grün-Diskussion.
Mir sind sehr selten SFF-Romane für Erwachsene unter 80.000 Wörtern begegnet (bei SFF für Jugendliche ist das etwas anderes – das im Titelbild abgebildete „Ashes & Souls“ hat 72.000 Wörter). Es gibt auch einen Unterschied zwischen den Genres: Zwar zeigen bereits die von mir gewählten Wörter die Bandbreite innerhalb der Genres, aber tendenziell sind in der High Fantasy mehr Endlos-Epen zu finden, in der Urban Fantasy mehr kürzere Romane.
Das dürfte darin begründet sein, dass es in der High Fantasy oft mehr Hauptfiguren und Handlungsstränge gibt, größere Zeiträume abgedeckt werden, und mehr Worldbuilding-Informationen vermittelt werden müssen. Für Urban Fantasy sind 1-2 Erzählperspektiven (typisch: ein*e Ich-Erzähler*in, oder eine Liebesgeschichte, die aus der Sicht beider zukünftiger Partner*innen erzählt wird) verbreiteter, und es müssen nur die magischen Elemente erklärt werden, die einer bereits vertrauten Welt hinzugefügt wurden. Hier gibt es auch teilweise mehr episodisches Erzählen: Vergleichsweise kurze, in sich abgeschlossene Detektiv- oder Liebesgeschichten fügen sich im Rahmen einer Buchreihe aus zu einem großen Ganzen zusammen. Im Science-Fiction-Genre habe ich nicht genug gelesen, um Tendenzen in der Buchlänge und die Gründe dafür analysieren zu können.
Allerdings messen nicht alle ihre Bücher in Wortzahlen. Wenn es z.B. darum geht, die Länge eines Buches präzise zu berechnen, ist die Anzahl der Zeichen wichtiger. Eine andere Maßeinheit ist die Normseite. Viele Lektor*innen und Korrektor*innen berechnen ihr Honorar nach diesen, und die Angaben, wie viele Seiten Leseprobe Verlage bei Manuskripteinsendungen wollen, beziehen sich in der Regel auf Normseiten. Allerdings sind Buchseiten oft ein wenig enger bedruckt als diese – die Drúdir-Romane sahen beide im Normseiten-Format beeindruckend lang aus, als gedruckte Bücher für Fantasy-Romane wirken sie dann doch eher schlank. (Das sind sie mit einem Wordcount von ca 130k und 104k auch).
Insgesamt überträgt sich die Länge eines Buchs nicht notwendigerweise auf seine Dicke.
Auch bei deren Dicke gibt es regionale und zielgruppenspezifische Unterschiede: Während es im englischsprachigen Raum „Mass Market Paperbacks“ mit dünnem Papier gibt, die sogar in die eine oder andere große Jackentasche passen, sind in Deutschland die Bücher meist größer (es sei denn, es handelt sich um Sonderausgaben im Taschenformat), das Papier stabiler. Deutsche Wörter sind auch länger, sodass Bücher mit der Übersetzung meist voluminöser werden – Christian Handels Recherche zu diesem Thema habe ich unten verlinkt. In Buchläden sehe ich meist auf den SFF-Tischen, die sich primär an Erwachsene richten, mehr Paperbacks mit teilweise recht kleiner Schrift. Jugend- oder YA-Bücher dagegen sind häufiger Hardcover, mit größerer Schrift und dickeren Seiten.
Also, meine Beobachtungen zu Romanen noch einmal zusammengefasst:
Was ist mit Phantastik jenseits des Romans? In den USA bringt der Tor-Verlag seit ein paar Jahren vermehrt Novellen heraus, darunter z.B. die „Wayward Children“-Bücher von Seanan McGuire oder die „Murderbot Diaries“ von Martha Wells. Diese sind auch im Deutschen herausgekommen, allerdings als dicke Sammelbände, die mehrere Novellen beinhalten. Novellen und Anthologien oder auch nur ungewöhnlich kurze Phantastikromane werden hier eher von Kleinverlagen wie Art Skript Phantastik oder Periplaneta herausgebracht. Vielleicht ist es eine kulturelle Sache, dass es hier zumindest im Bereich der Genre-Fiction eine Präferenz für lange oder zumindest lang aussehende Bücher gibt. Allerdings gibt es dank der schon erwähnten experimentierfreudigen Kleinverlage, Selfpublishing und dem e-Book-Format an sich mittlerweile eine neue Flexibilität, was Buchlängen betrifft.
Für Debüt-Autor*innen, die einem Verlag oder einer Agentur ihr erstes SFF-Buch anbieten wollen habe ich den Tipp gehört, dass sich da ein Manuskript zwischen 90.000 und 110.000 Wörtern am besten eignet – lang genug, um den Genre-Konventionen zu genügen, aber nicht so lang, dass der Druck zu teuer wird. Denn gerade bei kleinen Auflagen machen ein paar Seiten mehr einen großen Unterschied.
Interessante Links:
Video mit ausführlicher Diskussion dieses Themas
Artikel über sich verändernde Buchlängen bei Übersetzungen vom Englischen ins Deutsche
(1)
High Fantasy (Hellgrün)
Bernhard Hennen, James Sullivan: Die Elfen („tolkieneske“ Fantasy, Epos) 291.000 Wörter
Brian McClellan: Blutschwur (Flintlock Fantasy) 180.000 Wörter
Elea Brandt: Opfermond (Fantasythriller) 114.000 Wörter
Mark Lawrence: Prinz der Dunkelheit (Grimdark, Coming of Age) 95.000 Wörter
Urban Fantasy (Dunkelgrün)
Gesa Schwartz: Grim – Das Siegel des Feuers („Epische“ Urban Fantasy) 170.000 Wörter
Markus Heitz: Oneiros – Tödlicher Fluch (Urban-Fantasy-Thriller) 154.000 Wörter
Elizabeth May: Die Feenjägerin (Historische Urban Fantasy) 105.000 Wörter
Jim Butcher: Sturmnacht (Fantasy-Detektivroman) 87.000 Wörter
Science Fiction (Türkis)
James Sullivan: Die Granden von Pandaros (Weltraum SF? - ich muss das Buch noch lesen) 173.000 Wörter
Linda Nagata: Morgengrauen – The Red 1 (Military SF) 123.000 Wörter
Judith & Christian Vogt: Wasteland (Postapokalyptische Fiktion) 110.000 Wörter