Catherynne M. Valente lässt in diesem dichten, poetischen Roman das Russland des 20. Jahrhunderts mit einer düsteren Märchenwelt verschmelzen.
Klappentext
Koschei the Deathless is to Russian folklore what devils or wicked witches are to European culture: a menacing, evil figure; the villain of countless stories which have been passed on through story and text for generations. But Koschei has never before been seen through the eyes of Catherynne Valente, whose modernized and transformed take on the legend brings the action to modern times, spanning many of the great developments of Russian history in the twentieth century.
Deathless, however, is no dry, historical tome: it lights up like fire as the young Marya Morevna transforms from a clever child of the revolution, to Koschei’s beautiful bride, to his eventual undoing. Along the way there are Stalinist house elves, magical quests, secrecy and bureaucracy, and games of lust and power. All told, Deathless is a collision of magical history and actual history, of revolution and mythology, of love and death, which will bring Russian myth back to life in a stunning new incarnation.
Handlung
Russland in den 20er Jahren: Ein Mädchen sitzt am Fenster und sieht zu, wie sich Vögel in attraktive Männer verwandeln, die einer nach dem anderen um die Hand ihrer Schwestern anhalten. Dieser erste Blick auf die „naked world“ – diese halb von der Welt der Menschen getrennte, halb mit ihr verbundene Welt, in der die Figuren russischer Märchen und Sagen nur zu real sind – trennt sie für immer von ihren Mitmenschen. Und so zögert Marja Morevna nicht, als Jahre später Koschei the Deathless um ihre Hand anhält und sie mit in sein Reich nimmt.
Als „Zar des Lebens“ ist Koschei seit Jahrhunderten dabei, den Krieg gegen seinen Bruder Viy, den „Zaren des Todes“ zu verlieren. Wie so viele Figuren scheint er in Wiederholungen der immergleichen Verhaltensweisen gefangen, da die Märchen um ihn bestimmten Mustern folgen. Zugleich aber verändern er und die Welt, die er bewohnt, sich unter dem Einfluss der Menschenwelt: Hausgeister bilden, inspiriert vom Kommunismus, Kommitees und zu Marjas Gefährten in Koscheis Land Buyan gehört ein Maschinengewehr-Kobold.
Die Welt, in die Koschei Marja entführt, ist alles andere als ein idealisiertes Märchenland. Sie ist schön und bietet Erfahrungen von brennender Intensität, aber zugleich ist es auch eine sehr dunkle Welt: Buyan ist eine Stadt, in deren Brunnen Blut fließt und deren Häuser zum Teil aus Haut bestehen, und Marjas Beziehungen zu anderen Figuren dort sind davon geprägt, dass jeder den jeweils anderen zu beherrschen versucht. „Who is to rule?“, fragt Baba Yaga (die, ebenfalls nicht von den neuen Zeiten in der Menschenwelt unberührt, jetzt den Titel einer Vorsitzenden für sich beansprucht) und das ist für so viele Figuren die zentrale Frage.
Insbesondere für Koschei. Seine erste Anweisung an Marja ist es, zu schweigen, zuzuhören und sich von ihm füttern zu lassen, ihn zu fürchten und seine Herrschaft über sie anzuerkennen. Mit der Zeit wird Marja stärker, besteht all die ihr auferlegten Tests und lernt, sich sicherer in dieser seltsamen Welt zu bewegen. Sie wird härter, egoistischer und Koschei ähnlicher.
Das Kräftegleichgewicht in ihrer Beziehung verschiebt sich mehrmals, aber das Wort „Liebe“ scheint über weite Strecken wenig angebracht, um das zu beschreiben, was zwischen ihnen passiert. Begehren, Wut, Machtkämpfe und gegenseitige Abhängigkeit charakterisieren das leidenschaftliche Verhältnis der beiden Figuren, die nach einer Weile weder miteinander noch ohneeinander auszukommen scheinen, deutlich besser.
Als schließlich Ivan, das Äquivalent zum „Märchenprinzen“, der Marja aus den Klauen Koscheis befreien soll, auftaucht, findet er eine abgehärtete Veteranin des endlosen (und von vornherein verlorenen) Krieges gegen den Zaren des Todes vor. Es ist eher Marja, die ihn entführt, als umgekehrt. Doch die Menschenwelt ist kein bisschen weniger dunkel und gefährlich als die Welt, die Marja hinter sich lassen möchte.
„Deathless“ erschafft eine düstere, farbenprächtige Parallelwelt und greift gekonnt russische Mythologie auf, um diese mit realer Geschichte zu verflechten. Eine Schwäche der Handlung ist jedoch ein Absacken der Spannung im letzten Drittel: Gleich mehrere Szenen hätten als ein gutes Ende funktionieren können und haben zumindest mich dazu gebracht, mich innerlich von dem Buch zu verabschieden. Es fiel mir dann schwer, wieder in die Geschichte hineinzufinden, als es dann doch weiterging.
Wenig überraschend: „Deathless“ kommt ohne klassisches Happy End aus und wartet bis zum Ende mit unerwarteten Wendungen auf.
Figuren
Ich habe Marja und Koschei bereits kurz vorgestellt. Marja hat nicht immer Identifikationspotenzial – gerade, weil die Art von Stärke, die sie braucht um in Koscheis Welt zu überleben, von ihr verlangt, ihre menschlichere Seite zu verleugnen und sie seine Idee, dass es immer nur um Herrschaft geht, übernimmt – aber sie handelt nachvollziehbar und es ist leicht, Mitgefühl mit ihr zu haben und sie manchmal sogar zu bewundern. Sie ist kreativ, mutig und alles andere als naiv. Catherynne M. Valente schildert glaubwürdig, wie ihre Erfahrungen in der „Anderswelt“ sie verändern.
Marjas Beziehung zu Koschei ist bewusst auf eine Weise geschildert, die einem ein ziemlich unbehagliches Gefühl vermittelt. Schließlich beginnt ihre Beziehung mit einer Entführung und da sind immer Untertöne von Gewalt und Gefahr. Zugleich ist jedoch auch verständlich, wieso Marja einen Platz als Königin an Koscheis Seite anstrebt, da er ihr noch immer mehr bieten kann, als das Elend und die Trostlosigkeit von Leningrad und die Ablehnung ihrer Mitmenschen.
Koschei ist ebenfalls eindeutig kein Sympathieträger, aber eine zutiefst tragische Gestalt, die manchmal widerwilliges Mitgefühl weckt: Er kämpft seit Jahrhunderten auf verlorenem Posten, spielt geradezu zwanghaft immer wieder das gleiche Märchen durch und entwickelt tiefe, aufrichtige Gefühle für Marja, so zerstörerisch sich diese auch auswirken können. Es gibt eine kurze Zeit, in der er und Marja ihr gemeinsames Leben aus vollen Zügen genießen und einander alles vergeben zu haben scheinen, was vor dem Hintergrund ihrer bisherigen Geschichte etwas unglaubwürdig wirkt, aber meist ist ihre Beziehung spannend und spannungsreich geschildert und bringt den Leser dazu, den beiden mit entsetzter Faszination zuzusehen.
Marja findet in der anderen Welt neue Freunde, aber auch Gegenspieler. Die Baba Jaga ist eine beängstigende Figur, andere Figuren hingegen – der Maschinengewehr-Kobold Naganya oder die Vila Lebedeva – wirken hingegen beinahe verspielt, doch auch hier lauern Gefahr oder aber kostbares, verborgenes Wissen unter der Oberfläche. Die Märchenfiguren haben ein interessantes Verhältnis zur realen Welt, einige passen sich den „Trends“ an, andere leben, wie sie es bereits seit Jahrtausenden getan haben, und ihre Perspektive auf die Entwicklungen dort ist oft spannend zu lesen.
Stil
„Deathless“ ist in einer dichten, poetischen Sprache geschrieben, die z.B. Realismus in den Dialogen zugunsten einer märchenhaften oder lyrischen Qualität der Sprache vernachlässigt. Immer wieder gibt es parallele Strukturen in den Formulierungen oder der Handlung, was noch einmal den Eindruck eines Märchens verstärkt. Diese scheinbare Einfachheit (z.B. wimmelt es in den ungewöhnlichen Vergleichen von Alltagsgegenständen) steht im Kontrast zu der psychologisierten Schilderung der Figuren oder der Tragik und komplexen Struktur der Geschichte. Hier und da blitzt dunkler Humor auf.
Fazit
„Deathless“ ist eine der dunkelsten und außergewöhnlichsten Märchenadaptionen, die ich kenne. Catherynne M. Valente greift Motive der russischen Folklore auf und lässt dunkle Kapitel der russischen Vergangenheit halb mit einem bedrohlichen Märchenland verschmelzen. Ambivalente Figuren, eine dichte, poetische Sprache und eine magische Atmosphäre verbinden sich zu einem eindringlichen Leseerlebnis. „Deathless“ ist tragisch und beklemmend und die Figuren machen es einem oft schwer, sich mit ihnen zu identifizieren. Das ändert jedoch nichts daran – oder trägt vielleicht eher noch dazu bei – dass das Buch faszinierende Lektüre ist.
Tom Doherty Associates, März 2011
Imprint: Tor Books
ISBN: 9781429968409