Eng verwandt mit dem Beitrag zu " Pacing
": meine Überlegungen zu etwas, das mich beim Schreiben regelmäßig vor Herausforderungen stellt.
Als ich meinem Freund „Drúdir 3“ zu lesen gegeben habe, war eine seiner Anmerkungen, dass Figuren sich an einigen Stellen geradezu von A nach B zu beamen scheinen – obwohl ich erwähnte, dass sie gehen oder die Straßenbahn benutzen, fühle es sich nicht wirklich so an, als läge tatsächlich räumliche und zeitliche Distanz zwischen den beiden Szenen, die ich im entsprechenden Kapitel beschreibe. Und er hat vollkommen recht. Ich neige dazu, Kapitel zu schreiben, die teilweise einfach nur lange Szenen sind, und statt einen Übergang zwischen zwei Szenen zu gestalten, lasse ich lieber das Kapitel enden, wechsle die Perspektive und kehre dann zu den Figuren zurück, wenn sie sind, wo ich sie haben will.
Einerseits basiert das auf der relativ universell anwendbaren Erkenntnis, dass ich nichts schreiben sollte, was mich und Leser*innen bloß langweilt. Aber wie ich am Beispiel meines Freundes gesehen habe, können die „und dann waren sie plötzlich da“-Momente zu einem irritierenden Leseerlebnis führen, und falls ich mal einen Roman mit weniger Perspektiven und längeren Kapiteln schreiben, kann ich mich nicht immer mit einem Perspektivwechsel durchmogeln.
Also, wie gestaltet man Übergänge zwischen den Szenen? Hier sind zwei Fragen, die beim Schreiben guter „Zwischenszenen“ helfen könnten.
1. Welche konkreten Details machen eine Szene bildhaft? Wie bewirke ich Abwechslung?
Eine Szene, die nur dazu dient, eine Brücke zwischen zwei interessanten Ereignissen zu sein, wird Leser an sich nicht interessieren. Hier lohnt es sich, anzuschauen, was in der Szene unmittelbar davor und unmittelbar danach die Stimmung beherrscht und was diese Szenen im Kontext des Buches bewirken. Waren sie eher erklärungslastig? Dann sollte die „Zwischenszene“ durch einen Dialog/ ein Ereignis aufgelockert werden, dass lustig oder in irgendeiner Form emotional aufwühlend ist. Waren sie actionreich? Dann kann die Figur unterwegs darüber nachdenken und die Ereignisse verarbeiten. Geht es im Buch eher düster zu? Vielleicht könnte die Figur etwas Schönes/ Ermutigendes sehen, um zu verhindern, dass alles zu Schwarz-auf-Schwarz wird.
Vielleicht nimmt die Figur auch ihre Umgebung bewusst war, und die Szene ist somit eine gute Gelegenheit, Worldbuilding-Details einzustreuen. Auf jeden Fall helfen Sinneswahrnehmungen (vielleicht kommt die Figur an einem Stand mit Essen vorbei, bemerkt ihren Hunger und beschleunigt ihren, weil jetzt schnell nach Hause will), um ein „Sie ging los. Wenig später war sie zu Hause.“ in eine lebendigere Darstellung umzuwandeln. Die Körperwahrnehmung der Figuren hilft auch, um das Verstreichen von Zeit deutlich zu machen. Tun ihre Füße nach stundenlangem Stehen oder Laufen weh? Ist sie vielleicht früh morgens fröstelnd losgegangen, aber macht nun ihre Jacke auf, weil die Mittagssonne am Himmel steht? Beides ist ein guter Weg, um zu zeigen, dass jemand seit einer Weile unterwegs ist.
2. Wie kann die Szene für das Buch bewirken?
In der Regel stellt jeder Roman dem Leser mehr als eine Frage. Es gibt nicht nur den zentralen Plot, sondern z.B. auch die Frage, wie sich die Hauptfigur und ihre Beziehungen zu anderen Figuren durch ihre Erlebnisse verändern werden. Und dann kommen noch Subplots dazu.
Beispiel:
Sagen wir mal, wir haben es mit einem Fantasyplot zu tun: Die undurchschaubare rechte Hand des Königs schickt zwei Mitglieder der Königsgarde in die Hauptstadt des Nachbarlandes, um dort ein mächtiges magisches Artefakt zu stehlen. Die beiden jungen Männer stammen aus konkurrierenden Familien, aber stellen unterwegs fest, dass sie einander sympathisch und sogar attraktiv finden. Daraus ergeben sich nun folgende Fragen:
- Wie kommen sie an das Artefakt?
- Was steht auf dem Spiel, wenn sie es stehlen/ nicht stehlen/ erwischt werden?
- Warum sollen sie es überhaupt stehlen?
- Wie entwickelt sich die Beziehung der beiden?
- Wem können sie in der Stadt trauen?
Eine Szene, in der die beiden unterwegs sind, könnte sie auf verschiedene Weisen näher an die Antwort auf eine dieser Fragen bringen (und nebenbei vielleicht noch einiges über das Worldbuilding/ die Welt verraten).
Sagen wir, sie nähern sich dem Stadttor und kommen an einem Galgen vorbei. Ein Schild verrät, dass hier ein „Dieb und Spion“ hängt → sie wissen nun, dass sie lieber vorsichtig sein sollten.
Oder: Einer von beiden reitet voraus. Der zurückbleibende Mann stellt überrascht fest, dass er sich irgendwie doch an seinen Begleiter gewöhnt hat und ihn ein bisschen vermisst.
Oder: Sie langweilen sich. Einer von ihnen wiederholt einen bekannten Witz über den Berater des Königs, der sie losgeschickt hat, der dessen Vertrauenswürdigkeit in Frage stellt. Sie unterhalten sich kurz darüber, wie wenig sie über die Hintergründe ihrer Mission wissen – oder einer von ihnen denkt darüber nach, aber traut sich nicht, dem anderen anzuvertrauen, dass er sich Sorgen macht. Dass er es später tut, zeigt, dass zwischen den Beiden Vertrauen aufgekeimt ist.
Szenen können viele Funktionen erfüllen, zum Beispiel:
- Darstellung von Ereignissen und Informationen, die den zentralen Konflikt vorantreiben/ die Wahrnehmung des zentralen Konflikts ändern
- Charakterentwicklung/ Enthüllung von Eigenschaften eines Charakters
- Charakterinteraktion und Entwicklung von Beziehungen
- Darstellung interessanter Worldbuilding-Details: Flora, Fauna, Kultur (Rituale, Wertvorstellungen, mündl. Überlieferungen, ...)
- Vorantreiben/ Auftauchen eines Subplots/ einer neuen Frage
- Verhandlung gesellschaftl./ philosoph. Fragen, die das Buch streift
Nicht alles, was in einem Buch passiert, muss unmittelbar mit dem Hauptplot zusammenhängen. Tatsächlich wirken Welten immer dann sehr kulissenhaft, wenn Leser*innen nur die Informationen über sie erhalten, die sie brauchen, um den Plot zu verstehen – in solchen Fällen fühlt es sich leicht an, als würde die Welt vor der Hauptfigur entstehen und sich hinter ihr wieder auflösen, ohne unabhängige Existenz und Geschichte.
Aber Szenen funktionieren immer dann am besten, wenn sie mehr als eine Funktion für das Buch erfüllen. Die relevante Frage bei Szenen, die primär dazu dienen, zwei wichtigere Szenen miteinander zu verbinden, ist also: Wie kann ich etwas in diese Szene packen, dass etwas Neues über die Welt/ die Charaktere/ das zentrale Problem des Buches enthüllt?