Der zweite Tag des Branchentreffens das Phantastik-Autorennetzwerks
ist zu Ende und ich bin ein bisschen erschöpft von all den anregenden Diskussionen,
informativen Vorträgen und schönen Begegnungen. (Ich bin so froh, dass hier
alle Namensschilder tragen, sonst würde ich mit Verwechslungen und dem
versehentlichen Ignorieren von Bekannten Anti-Networking betreiben).
Die Organisatoren haben ein spannendes Programm auf die Beine gestellt. Bereits am ersten Tag ging es um Macht und Märchen und die Impulse, die die „Was wenn?“-Spiele der Science Fiction der Gesellschaft geben können. (Referentin Katja Böhne fing sich einige skeptische Reaktionen ein, als sie meinte, dass sie die politisch-gesellschaftswissenschaftlichen Analysen und Gedankenspiele, für die sie Science Fiction liebt, so in der Fantasy bisher nicht finden konnte. Wahrscheinlich ist ihre Mailbox gerade dabei, vor lauter Empfehlungen von Fantasy-Fans, die ihr das Gegenteil beweisen wollen, zu explodieren.)
Es folgte ein Panel zum Thema Comic, aus dem ich erfahren habe, wie schwer es dieses Medium in Deutschland hatte und hat. Wusstet ihr, dass in den 50ern Comicverbrennungen gab?
Comic-Fans und Phantastik-Leser haben heute noch in ihrem Ärger über die typisch deutsche, nur langsam einem differenzierteren Blick weichende Einteilung von Literatur in E- und U-Schubladen ein Thema, das sie verbindet.
Dass Repräsentation, Diversität und Intersektionalität in der Phantastik und die Frage nach der Verantwortung von Autoren, im Rahmen ihrer Reichweite etwas für die Wahrnehmung weniger privilegierter Gruppen zu tun, leidenschaftlich diskutiert wurden, hat wohl niemanden überrascht. Eingeleitet wurde die Debatte von einem Vortrag von Professor Lars Schmeink, der auf die vielen verschiedenen Arten von Privilegien in unserer Gesellschaft hingewiesen hat (und mich wieder daran erinnert, mit wie vielen Schwierigkeiten, mit denen andere Menschen täglich konfrontiert sind, ich mich nicht herumschlagen muss). Er benutzte das Bild eines Laufbandes für diskriminierende Strukturen – mit dem Laufband mitzulaufen oder sich davon weitertragen zu lassen ist einfach, in die andere Richtung zu laufen dagegen erfordert bewusste Anstrengung.
Die folgende Diskussion drehte sich vor allem um die Repräsentation von Frauen, Schwulen und Lesben in Literatur und Film. Es ging darum, ob Frauen wirklich ihre eigenen Remakes von populären Filmen brauchen oder nicht viel eher ihre eigenen Geschichten verdienten, um die Frage nach Dumbledores sexueller Orientierung (was die alte Diskussion darüber berührt, wie man Texte lesen sollte: Wie wichtig ist das Wissen, dass die Autorin beim Schreiben im Hinterkopf hatte und das es nie explizit auf die Seiten geschafft hat? Verschiedene Literaturtheorien haben verschiedene Antworten auf die Frage geliefert, aber das führt jetzt ein wenig zu weit), und um die Spannung zwischen der Forderung, marginalisierten Gruppen zu mehr Repräsentation zu helfen und der Sorge, dabei aus Unwissen etwas falsch zu machen.
Panelist Akram el-Bahay schnitt kurz das Thema Repräsentation anderer Kulturen an, als er erwähnte, dass sein Name und seine Vertrautheit mit der ägyptischen Kultur sein Schreiben in einem ägyptischen Setting legitimierten. Die Zusammensetzung des Panels und Publikums führte jedoch dazu, dass Gender-Themen in der Diskussion dominierten. Dagegen gibt es absolut nichts einzuwenden, da die Diskussion von Sexualität, Geschlecht, Gesellschaft und Rollenbilder wichtig ist und die Phantastik ein wunderbares Mittel, um sie aus neuen Perspektiven zu erkunden.
Dennoch hätte ich gerne mehr darüber gehört, wie man Menschen aus anderen Kulturen gut repräsentiert und dabei einerseits vermeidet, sie wie moderne Westeuropäer in anderer Kleidung wirken zu lassen, auf der anderen Seite aber nicht in die Falle von Stereotypisierungen und der Überbetonung von Unterschieden tappt.
Genau das hat mich nämlich beschäftigt, als ich meine Kurzgeschichte für „Steampunk Akte Asien“ schrieb. Meine Charaktere denken und sprechen sicher nicht exakt so, wie es angesichts des historischen Settings, Tokugawa-Japan, angemessen gewesen wäre. Die kurze Zeit, die mir für die Recherche zur Verfügung stand, und das Format der Kurzgeschichte erlegen mir hier gewisse Beschränkungen auf und vielleicht hätte ich das Schreiben dieser Geschichte jemanden mit mehr Wissen und einem geschärfteren Bewusstsein für Fragen der Repräsentation überlassen sollen.
Aber gleichzeitig denke ich, dass ich wenigstens versucht habe, im Rahmen relativ enger (aber auch inspirierender) Vorgaben nach bestem Wissen eine gute, nicht eurozentrische Steampunk-Geschichte zu schreiben, die sich auch nur an historische Ereignisse anlehnt, statt den Anspruch einer durchgängig korrekten Darstellung zu erheben. Falls ich dabei spektakulär gescheitert bin, lasse ich mir gerne erklären, was ich falsch gemacht habe, in der Hoffnung, dass dies mir und anderen erlaubt, es in Zukunft besser zu machen. Falsche Repräsentation kann zweifellos Schaden anrichten, aber meine Geschichte ist nur ein winziger Mosaikstein in dem Bild japanischer Kultur und Geschichte, das sich aus unzähligen, größtenteils kompetenter gemachten medialen Repräsentationen ergibt, und letztlich können wir alle nur lernen, indem wir Fehler machen, sie anerkennen und in Zukunft vermeiden …. glaube ich.
Okay, rechtfertigende Abschweifung beendet. Zurück zum Branchentreffen.
Am zweiten Tag bewies Tommy Krappweis (Fernseh-Autor, Comedian und Autor von „Mara und der Feuerbringer“), dass er sich auf der Bühne zuhause fühlt. Er machte seinem sehr gerechtfertigten Ärger über die ideologische Vereinnahmung „germanischer“ Mythologie durch (Neo-)Nazis Luft und beschrieb genüsslich, wie er sich bei jeder Gelegenheit mit ihnen anlegt. Von so vielen Autoren gefürchtete Attacken im Internet scheint er eher unterhaltsam als verunsichernd zu finden.
Aufgelockert von einem Katzenvideo ging es außerdem um rechtliche Fragen der Meinungs- und Kunstfreiheit, Youtube als Marketing-Instrument – und schließlich um die Leidenschaft, die über all den geschäftlichen Erwägungen nicht verloren gehen darf. Christian von Aster plädierte unter reichlich Verweisen auf seine eigenwillige Biographie darauf, Vernunft und Gewinnstreben hinter sich zu lassen, um genau die Bücher zu schreiben, für die man brennt. Als Leserin von „Der letzte Schattenschnitzer“ würde ich sagen, dass zumindest seine Leser sehr von dieser Einstellung profitiert haben.
Anschließend ließ er sich als Gast eines weiteren Panels nieder. Verleger, Autoren und Publikum sprachen nun über den Balanceakt zwischen Kalkulation und Inspiration, zwischen der Notwendigkeit, zuverlässig gut verkäufliche Bücher zu liefern, und dem Wunsch, besondere Geschichten zu schreiben und an Leser zu bringen. Marketing-Tipps wechselten sich mit leidenschaftlichen Bekenntnissen zur Literatur ab, aber letztlich stand die Frage im Raum, ob es wirklich ein Publikum für die anspruchsvollen, schubladensprengenden, herausragenden Bücher gibt, welche anscheinend so viele Autoren gerne schreiben möchten.
Was es im Rahmen des Branchentreffens noch zu sehen/hören/anderweitig zu erfahren gab:
Alles in allem blicke ich auf zwei Tage zurück, für die sich die Anreise auf jeden Fall gelohnt hat, und bin schon gespannt auf die Workshops morgen.